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Vera Som­pon

Weltweit wird derzeit viel über Rassismus und die #BlackLivesMatter-Debatte diskutiert. Die Sozialpädagogin Vera Sompon engagiert sich bereits seit mehreren Jahren im Bereich der sozialen Arbeit in der Migrationsgesellschaft und gründete 2009 Sompon Socialservice. Der Verein bietet Migrantinnen und Migranten mit afrikanischer Herkunft diverse Unterstützungsangebote.

Wir haben mit der Sprecherin des Forums der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen, welches auch Mitglied der Initiative kulturelle Integration ist, über die Arbeit von Sompon Socialservice und die aktuelle Rassismusdebatte gesprochen.

Vielen Dank, Vera Sompon, für Ihr langjähriges Engagement in der migrationsgesellschaftlichen sozialen Arbeit.

Sie sind Sprecherin des Forums der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen. Was macht das Forum genau?
Zunächst einmal möchte ich mich herzlich bedanken: Das ist eine Überraschung für mich, Mensch des Monats im Juli 2020 zu sein. Ich kam 2003 nach Deutschland und engagiere mich seitdem in diversen Vereinen und Vorständen, wie z. B. beim Forum der Migrantinnen und Migranten (FdM). Das FdM ist eine Plattform von Migrantenorganisationen im Paritätischen Gesamtverband Berlin. Seit 2007 setzt sich das FdM unter anderem für die Verbesserung der Rahmenbedingungen der Arbeit der Migrantenorganisationen ein. Zwei Ziele stehen dabei im Vordergrund: Zum einem geht es um die Professionalisierung der Arbeit der Organisationen und zum anderen um ihre Förderung jenseits von projektgebundenen Aktivitäten.

Die aktuelle Rassismusdebatte – ausgelöst durch den Tod von George Floyd – mobilisiert weltweit. Was muss geschehen, damit Rassismus nachhaltig überwunden werden kann? Und welche Fragen sollte sich jede und jeder momentan selbst stellen?
Ich finde es sehr schade, dass wir heute immer noch über Rassismus sprechen wie vor 500 Jahren! Rassismus ist tief in der kolonialen Vergangenheit Europas verwurzelt. Es wurde bis heute nicht genug dafür getan, rassistische Stereotype und ungleiche Behandlung von Menschen aufgrund der Herkunft und der äußerlichen Merkmale zu bekämpfen. Rassismus ist ein System, in dem eine Gruppe von Menschen ihre Privilegien und Machtstrukturen auf Kosten anderer stärken und verfestigen. Rassismus bedeutet also weiße Privilegien und Machtstrukturen zu stärken und dadurch Ungerechtigkeit bewusst, aber eben auch unbewusst zu ignorieren.

„Ich finde es sehr schade, dass wir heute immer noch über Rassismus sprechen wie vor 500 Jahren!“

Rassismus und dessen Folgen wie Diskriminierung, Vorurteile und Ausgrenzung betreffen uns alle! Wir müssen gemeinsam Methoden und Wege finden, in unserer vielfältigen Gesellschaft miteinander zu leben. Wir müssen sensibler und solidarischer werden und unsere Haltung und unser Handeln viel mehr reflektieren. Jede und jeder hat es selbst in der Hand, Rassismus zu beenden. Jede und jeder kann mit kleinen Schritten beginnen: genauer zuhören, statt zu werten; respektvoll bleiben und bei Bedarf auch Zivilcourage zeigen, wenn Menschen offensichtlich diskriminiert werden. Rassismus ist nicht naturgegeben, er wurde von Menschen konstruiert und kann nur durch Menschen abgeschafft werden.

Wie beeinflusst die Debatte die Arbeit des Forums der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen?
Auch das FdM setzt sich in seiner Arbeit mit Rassismus auseinander. Bei der Überwindung des strukturellen Rassismus, der in den Praktiken und Routinen von Institutionen und Gesetzen verankert ist, ist ein Umdenken gefordert. Unter anderem sollen Bildungseinrichtungen, soziale Einrichtungen, politisch Verantwortliche und gesetzgebende Instanzen darauf achten, dass aus deren Handlungen und Entscheidungen keine Benachteiligungen für bestimmte Personengruppen resultieren. Für die Betroffenen ist struktureller Rassismus wie eine felsenfeste Betonwand. Es verlangt sehr viel Kraft, Mut, Beharrlichkeit, Ausdauer und Engagement, um sich nicht von immer wieder neu praktizierten Ausgrenzungshandlungen demütigen zu lassen.

„Wir stehen alle in der Verantwortung, die strukturellen Ursachen für Chancenungleichheit und Diskriminierung nicht zu ignorieren.“

Im Jahr 2009 haben Sie den Veren Sompon Socialservice gegründet. Wie kam es dazu und wie arbeitet der Verein?
Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen mit Rassismus habe ich 2009 Sompon Socialservice e.V. gegründet. Sompon bedeutet „etwas Schönes“ auf Bangam, eine der über 200 Sprachen, die in Kamerun gesprochen werden. Für viele Menschen mit Migrationsbiografie ist das Gute nicht immer Teil der eigenen Lebensrealität. Noch immer sind sie speziellen sozialen Problemen ausgesetzt, die von individueller Nichtanerkennung über gesellschaftliche Ablehnung bis hin zu struktureller Diskriminierung in der Bildung und auf dem Arbeitsmarkt reichen. Nicht selten sind Menschen vor Krieg und Verfolgung geflohen, wodurch zusätzliche traumatische Erlebnisse dazukommen. Manche Lebenssituationen sind daher zu überwältigend, um sie allein bewerkstelligen zu können. Der migrationsgesellschaftlich ausgerichteten sozialpädagogischen Arbeit kommt daher eine besondere Verantwortung zu: Professionelle, einfühlsame Beratung und Begleitung kann Menschen dabei unterstützen, Lösungen für ihre sozialen Probleme zu entwickeln. Gleichzeitig stehen wir alle in der Verantwortung, die strukturellen Ursachen für Chancenungleichheit und Diskriminierung nicht zu ignorieren.

„Damit Chancengleichheit zur Normalität wird, ist für mich die These 1 sehr wichtig.“

Die 15 Thesen der Initiative kulturelle Integration tragen den Titel „Zusammenhalt in Vielfalt“. Was bedeutet für Sie „Zusammenhalt in Vielfalt“ und welche der 15 Thesen ist Ihre „Lieblingsthese“?
Damit Chancengleichheit zur Normalität wird, ist für mich die These 1 sehr wichtig: »Das Grundgesetz als Grundlage für das Zusammenleben der Menschen in Deutschland muss gelebt werden.« Deutschland ist eine Migrationsgesellschaft und wir müssen Vielfalt endlich als Geschenk anerkennen und akzeptieren. Wir können die Vielfalt auch noch für eine Weile unterdrücken, aber die Zeit wird kommen – ich meine sogar, die Zeit ist bereits gekommen –, wo wir nicht mehr über die Vielfalt hinwegsehen dürfen. Die Globalisierung, die europäische Einigung und die internationale Migration drängen uns, über ein gemeinsames Ziel und eine gemeinsame Zukunft nachzudenken. Und dabei tut Vielfalt gut!

Copyright: Alle Rechte bei Initiative kulturelle Integration

Adresse: https://www.kulturelle-integration.de/2020/07/01/vera-sompon/