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Ali Can

Der Sozialaktivist und Autor Ali Can ist insbesondere als Initiator der „Hotline für besorgte Bürger“ sowie für den Hashtag #MeTwo bekannt. Anfang 2019 eröffnete in Essen das von ihm gegründete „VielRespektZentrum“ – ein Haus, in dem Respekt und Wertschätzung großgeschrieben werden. Für sein Engagement wurde Ali Can mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Jugenddemokratiepreis 2016 der Bundeszentrale für politische Bildung.

Im Jahr 1995, zwei Jahre nach seiner Geburt im Südosten der Türkei, emigrierte seine kurdisch-stämmige Familie aufgrund gesellschaftlicher und staatlicher Diskriminierung nach Deutschland. Ali Can studierte Deutsch und Ethik auf Lehramt an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und verfasste dazu eine Examensarbeit mit dem Titel „Herausforderungen interkultureller Begegnungen in der Flüchtlingskrise”. Seither fokussiert er seine Arbeit auf interkulturellen Themen. Erst vor kurzem erschien im Dudenverlag sein Buch „Mehr als eine Heimat. Wie ich Deutschsein neu definiere“.

Vielen Dank, Ali Can, für Dein Engagement für ein besseres Miteinander in unserer Gesellschaft.

Der Hashtag #MeTwo hat 2018 in den sozialen Medien eine große Diskussionswelle nach sich gezogen. Mit der Aktion hast du dazu aufgerufen, unter dem Hashtag diskriminierende und rassistische Erfahrungen zu teilen. Wie ist diese Idee entstanden und wie aktiv ist die Diskussion um den Hashtag auch heute noch?
Die Idee entstand, als Mesut Özil aufgrund von Rassismus aus der Fußball-Nationalmannschaft zurückgetreten ist. In seinem Statement gab es einen Satz, der mich besonders berührt hat: „Wenn wir gewinnen sind wir Deutsche, wenn wir verlieren sind wir Migranten.“ Das tat weh und kannte ich selbst auch. Für mich war der Rücktritt so ein fatales Zeichen. Özil ist nicht der einzige, sondern alle von uns machen diese Erfahrungen mit Alltagsrassismus oder haben das Gefühl, sie müssen besser sein als ihre Mitmenschen, werden an doppelten Maßstäben bemessen. Prinzipiell ist Integration oft an Leistung geknüpft. Da war mir klar, dass es – ähnlich wie bei #MeToo – auch einen Aufschrei der Migranten über diskriminierende Erfahrungen im Alltag braucht. Daher habe ich dazu aufgerufen, diese persönlichen Erfahrungen unter dem Hashtag #MeTwo zu teilen. Auch jetzt posten Menschen noch ihre Erfahrungen. Es ist also wie so eine Art Chiffre gegen Rassismus geworden, wie #MeToo gegen Sexismus.

„Integration ist für mich eine Sache, die etwas mit Zugehörigkeit und Orientierung zu tun hat.“

In deiner Late-Night-Show „Alimania” auf YouTube sprichst du mit Politikerinnen und Politkern, Prominenten sowie mit Expertinnen und Experten über Integrationsthemen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Was verstehst du unter dem teilweise auch recht sperrigen Begriff der Integration?
Integration ist für mich eine Sache, die etwas mit Zugehörigkeit und Orientierung zu tun hat. Es ist ein sehr komplexer Prozess, der für alle Menschen gilt, die in einer Gesellschaft leben. Integration ist für mich nicht an Leistung oder nur an Sprache oder Arbeit geknüpft. Weil andersherum gefragt: Ist jemand, der gut arbeitet, gut spricht, aber die fundamentalen Werte der Gesellschaft nicht teilt, integriert?

Wir müssen wegkommen von der Richterperspektive, über die ich auch in meinem Buch „Mehr als eine Heimat. Wie ich Deutschsein neue definiere“ schreibe. Man hat andere Erwartungshaltungen an Deutsche ohne Migrationshintergrund – diese Richterperspektive müssen wir ablegen. Wir müssen allgemeine Maßstäbe anlegen und mein Integrationsbegriff ist eng verknüpft mit einer Heimat der Werte. Heimat sollte nicht mit Wurzeln gleichgesetzt werden, sondern damit, dass Menschen sich zugehörig fühlen. Und diese Zugehörigkeitsgefühl gestaltet sich immer anders und daher kann Integration nicht immer gleich ablaufen. Integration sollte dahingehen, dass man sich an den Grundwerten orientiert und sich von da aus frei entfalten kann und anderen Menschen respektvoll gegenübersteht.

In deinem Buch „Mehr als eine Heimat. Wie ich Deutschsein neu definiere“ (2019 Dudenverlag) erzählst du die Anekdote von „Pegida und der Schokohase“. Was hat es damit auf sich?
Ich war bei einer Pegida-Demo, um herauszufinden, was ich tun kann, damit Menschen nicht den Populisten glauben, Flüchtlinge pauschalisieren und sie, ohne sie zu kennen, als Bedrohung wahrnehmen. Als der Redner meinte, dass bald keine christlichen Feste mehr gefeiert werden, wenn man die Islamisierung nicht stoppe, fiel mir mein Schoko-Osterhase in der Tasche ein. Daraufhin holte ich den Schokohasen raus und die zwei Leute neben mir fingen bei dem Anblick dann an zu lachen. Dadurch war dann Kontakt da. Man muss also erstmal das Eis brechen, sodass Menschen sich begegnen können und man sich erstmal die Chance gibt, wahrgenommen zu werden und nicht direkt in Schubladen kommt. Und das war dann auch der Grund, warum ich die „Hotline für besorgte Bürger“ gegründet habe. Ziel ist es, Orte zu schaffen, in denen sich Menschen erstmal friedlich kennenlernen können.

Hast du eine abschließende Antwort auf die Frage gefunden, was „Deutschsein“ für dich selbst bedeutet?
Ja, habe ich und sie steht auch in meinem Buch: Deutschsein ist die Summe aller Menschen, die in Deutschland leben.

„Deutschsein ist die Summe aller Menschen, die in Deutschland leben.“

Und was heißt „Zusammenhalt in Vielfalt“ für dich?
Zusammenhalt in Vielfalt heißt, dass wir einen Wertekonsens haben – Menschenrechte, freiheitlich demokratische Rechte des Grundgesetzes – und uns einander wohlgesonnen sind, uns aber die Unterschiede auch gönnen. Das heißt, man muss nicht alles gut finden oder es genauso machen, es aber jemand anderem gönnen, dass er oder sie sich anders verwirklicht.

Vielen Dank!

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