Johann Hinrich Claussen 6. März 2023 Logo_Initiative_print.png

Reli­gi­ons­frei­heit

Hohes Gut mit hoher kul­tur­po­li­ti­scher Bedeutung

Erstens: Religionsfreiheit ist ein hohes Gut für alle Menschen. Zweitens: Religionsfreiheit hat auch eine hohe kulturpolitische Bedeutung.

Der erste Satz klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist es aber nicht. Man denke nur an die Fußball-WM in Katar zurück. Da wurde die Gleichberechtigung von LGBT-Menschen eingeklagt – aus guten Gründen. Leider geriet die Umsetzung nicht eben weltmeisterlich. Mit gleichem Recht jedoch hätte man auf die Gleichberechtigung nicht muslimischer Menschen hinweisen können. Denn es gibt dort sehr viele Christinnen und Christen, die ihre Gottesdienste nur in einem Religionsgetto vor den Toren der Stadt feiern dürfen. All den hinduistischen Wanderarbeitern ist dies gänzlich verboten – aufgrund von „Vielgötterei“. Auf den „Abfall“  vom Islam steht immer noch die Todesstrafe, auch wenn sie freundlicherweise seit vielen Jahren nicht mehr vollzogen wird. „Mission“ ist ebenfalls strikt verboten. Nun mag man Mission grundsätzlich kritisch betrachten. Aber sie steht auch für die Freiheit, die mit der Geburt vorgegebene Religionszugehörigkeit zu verlassen und aus eigener Überzeugung einen anderen Glauben anzunehmen. Sie ist die andere Seite der negativen Religionsfreiheit, also der Freiheit, nicht mehr zu glauben.

Darauf hätten unsere Fußballhelden und die sie begleitenden Medien durchaus hinweisen können. Dafür aber hätten sie einmal um die Ecke denken und sich ernsthaft mit dem Leben in einem strikt muslimischen Land auseinandersetzen müssen. Doch ihr Versäumnis ist kein Zufall. Denn es scheint hierzulande Konsens geworden zu sein, Religionsfreiheit für das Privileg einer Minderheit seltsam veranlagter Menschen zu halten. Dabei übersieht man jedoch, dass der Schutz einer Minderheit immer der gesamten Gesellschaft zugutekommt. Deren Menschlichkeit bemisst sich an ihrem Umgang mit Minderheiten – ob es nun Andersgläubige oder Andersliebende sind. Deshalb geht es uns sehr wohl etwas an, wenn im Iran Angehörige der Bahai-Religion ermordet oder in China christliche Menschenrechtler drangsaliert werden. Mit diesen Ländern treiben wir intensiv Handel. Dass vor Kurzem eine evangelische Reisegruppe, die ihre Partnergemeinde in Indien besuchen wollte, wegen „Mission“ wieder ausgewiesen wurde und ihre indischen Gesprächspartner ins Gefängnis gesperrt wurden, hätte auch in säkularen Medien Aufmerksamkeit verdient gehabt.

Nun zum zweiten Satz: Religionsfreiheit hat auch eine hohe kulturpolitische Bedeutung. Denn es gibt eine neue Form der Religionsunterdrückung, die sich nicht nur gegen Menschen, sondern auch gegen Kulturgüter richtet. Sie entspricht nicht dem Klischee der „Christenverfolgung“, ist aber nicht weniger zerstörerisch. Man kann es in der Ukraine beobachten. Die russischen Aggressoren gehen gezielt und massiv gegen Kulturgüter vor. Auf der Website des ukrainischen Kulturministeriums wird dies dokumentiert. Es ist eine lange Liste von zerstörten Kirchen der unterschiedlichsten Konfessionen sowie von Synagogen und jüdischen Friedhöfen. Militärisch ergibt dies keinen Sinn, politisch aber sehr wohl, denn die russischen Aggressoren wollen die Identität der Ukraine, die eben auch religiöse Wurzeln hat, für immer vernichten.

Man sollte aber nicht übersehen, dass dasselbe auch in anderen Weltgegenden geschieht, z. B. in Äthiopien. Im Bürgerkrieg, der dort seit Monaten tobt und Hundertausende von Menschenleben vernichtet hat, greifen die äthiopische Zentralgewalt und ihre eritreischen Verbündeten immer auch religiöse Kulturgüter in Tigray an. Damit sollen der Lebenswille und der Zusammenhalt der örtlichen Gemeinschaft gebrochen und ihre christlich-religiöse Identität zerstört werden. Das ist auch eine Art der Christenverfolgung, die von Menschen betrieben wird, die sich nicht selten selbst als „christlich“ bezeichnen. Einen Überblick über die angerichteten Schäden gibt es bislang nicht. Vielleicht wird man nie erfahren, wie viele Kirchen, Klöster, Bilder und Handschriften vernichtet worden sind. Wer wird sie wieder aufbauen – und wann?

Der zweite Sonntag in der Passionszeit ist traditionell der Solidarität mit verfolgten Glaubensgeschwistern weltweit gewidmet. Dieses Jahr, am 5. März, stellen viele evangelische Gemeinden Äthiopien in den Mittelpunkt der Predigt und des Gebets. Das hat auch eine kulturpolitische Bedeutsamkeit.

Dieser Test ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2023.

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