Ein Geschenk Gottes

Zur Rolle und Bedeu­tung von Was­ser in den Religionen

In den Schrif­ten der Reli­gio­nen fin­den sich unter­schied­li­che Erfah­run­gen mit dem Ele­ment des Was­sers. Es steht für Geburt und Gefahr, für Hoff­nung und Hei­lung. In der Bibel ist Was­ser zuerst Quelle des Lebens. Der Strom, der Eden ent­springt, hat schöp­fe­ri­sche Kraft – so im Buch Gene­sis. Das Was­ser aus dem Fel­sen ret­tet das Volk Israel in der Wüste (Buch Exodus). Die lebens­ge­fähr­dende Cha­os­macht des Was­sers zeigt sich in den Über­schwem­mungs­ka­ta­stro­phen der Sint­flut­ge­schich­ten. Erst gött­li­che Mächte begren­zen die Was­ser­mas­sen. Got­tes Schöp­fungs­han­deln teilt die Was­ser­flu­ten vom Land und ermög­licht so Leben, wie es eben­falls im Buch Gene­sis heißt. Was­ser kann in den Gebe­ten zum Bild töd­li­cher Ängste wer­den – siehe in der Bibel: Psal­men, Jona –, wäh­rend Gott in end­zeit­li­cher Hoff­nung den Dra­chen im Meer töten wird, wie beim Pro­phe­ten Jesaja). Was­ser rei­nigt den unrein gewor­de­nen Men­schen. Dabei kann Unrein­heit phy­sisch als Krank­heit, mora­lisch als Sünde und kul­tisch, etwa durch die Nähe oder Berüh­rung von Toten, ver­stan­den werden.

Ein Spe­zi­al­fall ritu­el­ler Waschun­gen ist die Taufe. Für die frü­hen Chris­ten war die Taufe selbst­be­stimm­ter Anfang christ­li­chen Lebens, eine in einem Was­ser­bad voll­zo­gene Neu­ge­burt. Im Neuen Tes­ta­ment wird die Taufe zunächst als eine Rei­ni­gung von den Sün­den ver­stan­den und sym­bo­lisch durch das Abwa­schen mit Was­ser voll­zo­gen. Die Rei­ni­gung bedeu­tet den Tod des alten, sün­di­gen Men­schen, wäh­rend die Taufe fortan die Zuge­hö­rig­keit zur Kir­che mar­kiert. In einem neu­tes­ta­ment­li­chen Brief wird die Taufe als „Bad der Wie­der­ge­burt und der Erneue­rung im Hei­li­gen Geist“ beschrie­ben, der Getaufte kann sich somit gegen­über sei­ner vor­he­ri­gen Exis­tenz als neu gewor­den ver­ste­hen. Für die römisch-katho­li­sche Kir­che sym­bo­li­siert die Taufe nicht nur die Rei­ni­gung von den Sün­den und die „Neu­ge­burt“ des Men­schen, son­dern bewirkt diese zugleich. In der Säug­lings­taufe kommt nach christ­li­chem Ver­ständ­nis die Bedin­gungs­lo­sig­keit gött­li­cher Heils­zu­sage zum Aus­druck – unab­hän­gig von einer zu erbrin­gen­den Leis­tung des Täuf­lings. In Abhän­gig­keit vom Ritus der Glau­bens­gruppe und davon, ob neben dem Erwach­se­nent­auf­ri­tus ein eige­ner Ritus für die Säug­lings­taufe exis­tiert, erfolgt die Taufe durch das Über­gie­ßen von Was­ser oder durch Untertauchen.

Dass Was­ser ein Geschenk Got­tes und segens­reich ist, zeigt sich auch im Islam. So schenkt Gott den Men­schen sowie den ande­ren Lebe­we­sen und Pflan­zen das Was­ser. Der Zusam­men­fluss von zwei Ozea­nen steht im Koran sym­bo­lisch für die Quelle des Lebens. Für Pil­ger gilt es als selbst­ver­ständ­lich, aus einer hei­li­gen Quelle in der Nähe von Mekka zu trin­ken. Was­ser wird als Urbild der Rein­heit ver­stan­den und dem­entspre­chend die­nen die Waschun­gen vor dem Gebet, vor dem Lesen des Korans und vor dem Besuch der Moschee der äuße­ren und inne­ren Rei­ni­gung. Die ritu­elle Waschung setzt flie­ßen­des, d. h. „leben­di­ges“ sowie rei­nes Was­ser voraus.

Die Rei­hen­folge der ritu­el­len Teil­wa­schung von Gesicht, Unter­ar­men, Kopf und Füßen ist vor­ge­ge­ben. Neben der ritu­el­len Teil­wa­schung exis­tiert die Ganz­wa­schung. Sie erfolgt etwa nach dem Geschlechts­ver­kehr, nach dem Ende der Mens­trua­tion sowie bei ver­stor­be­nen Mus­li­men zur Wie­der­her­stel­lung der vol­len Rein­heit. Auch nach der Kon­ver­sion zum Islam ist eine ritu­elle Ganz­wa­schung erfor­der­lich. Unrein­heit kann auch im Hamam, eine seit dem frü­hen Mit­tel­al­ter bekannte Form des Dampf­ba­des, besei­tigt werden.

Ritu­elle Waschun­gen sind auch im Juden­tum Mit­tel der ritu­el­len Rei­ni­gung, wobei das Maß vom Grad der Unrein­heit abhängt. Seit der Tem­pel­zer­stö­rung ist vor der Mahl­zeit und vor der Berüh­rung mit hei­li­gen Schrift­rol­len das Hän­de­spü­len mit einer Seg­nung vor­ge­se­hen, wäh­rend nach fest­ge­stell­tem Auf­hö­ren von Wund- und Blut­fluss sowie nach sexu­el­len Kon­tak­ten ein Tauch­bad – Mikwe – in „leben­di­gen“, d. h. nicht ste­hen­dem, son­dern flie­ßen­dem Was­ser erfor­der­lich ist, wie z. B. Quell- und Fluss­was­ser. Auch der Kon­ver­tit erhält ein Tauch­bad. Für das Tauch­bad wur­den schon in der Antike eigene Anla­gen mit einem Fas­sungs­ver­mö­gen von min­des­tens 800 Litern gebaut. Im Mit­tel­al­ter wur­den die Mik­wen auch mit Schacht­an­la­gen gebaut. Dass die Mikwe nicht der kör­per­li­chen Rei­ni­gung, d. h. der Sau­ber­keit, son­dern der ritu­el­len Rei­ni­gung dient, zeigt sich daran, dass die betref­fen­den Per­so­nen sich bereits vorab gründ­lich waschen. Durch das Unter­tau­chen kön­nen eben­falls Geräte gerei­nigt werden.

Die Bespren­gung mit Was­ser, d. h. mit Weih­was­ser, ist bei Chris­ten schon früh üblich. Unter Weih­was­ser ver­steht die römisch-katho­li­sche Kir­che Was­ser, dem Salz bei­gemischt wer­den kann und wel­ches sodann geseg­net wird. Mit Weih­was­ser kön­nen Per­so­nen und Gegen­stände besprengt wer­den. Damit wird an die Taufe erin­nert. Das Bekreu­zi­gen mit Weih­was­ser ist Brauch beim Betre­ten einer Kir­che oder Kapelle. Bereits im Mit­tel­al­ter kannte man For­men der Was­ser­weihe zum Schutz des Hau­ses und des Viehs, den soge­nann­ten Stall­se­gen. Beliebt ist unter katho­li­schen Chris­ten die Haus­seg­nung zu Epi­pha­nie, dem Drei­kö­nigs­tag am 6. Januar. Die Räume wer­den mit Weih­was­ser und Weih­rauch geseg­net, wäh­rend über die Tür­bal­ken die For­mel C + M + B in Ver­bin­dung mit der jewei­li­gen Jah­res­zahl geschrie­ben wird. Die Buch­sta­ben kön­nen ent­we­der als Namen der Hei­li­gen Drei Könige gedeu­tet – Cas­par, Mel­chior, Bal­tha­sar – oder auf die latei­ni­sche For­mel „Chris­tus man­sio­nem bene­di­cat“, zu Deutsch: Chris­tus segne das Haus, bezo­gen wer­den. In der Tra­di­tion ver­an­kert sind auch Was­ser­wei­hen unter Anru­fung bestimm­ter Hei­li­ger, ange­lehnt an Berichte über Wun­der­was­ser in Hei­li­gen­le­gen­den. Bis heute ist Pil­gern das Was­ser aus Wall­fahrts­or­ten wie Lour­des heilig.

Eine beson­dere Form des Weih­was­sers ist das soge­nannte Gre­go­ria­ni­sche Was­ser – über­lie­fert seit Gre­gor dem Gro­ßen im 14. Jahr­hun­dert –, mit dem Altar und Kir­che bei ihrer Weihe kul­tisch gerei­nigt wer­den. Die­sem Weih­was­ser wird nicht nur Salz bei­gefügt, son­dern auch Wein sowie Asche, die die rei­ni­gende Kraft des Feu­ers enthält.

Dass das reli­giöse und natur­wis­sen­schaft­li­che Ver­ständ­nis von Was­ser meist weit aus­ein­an­der­lie­gen, zeigt die reli­giöse Kon­no­ta­tion der Ganga (Gan­ges) als „hei­li­ger Fluss“. An dem hei­li­gen und als Göt­tin ver­ehr­ten Fluss der Hin­dus lie­gen zahl­rei­che Wall­fahrts­orte. Um sich von ihren Sün­den zu befreien, neh­men Zehn­tau­sende von Pil­gern ein Bad im Gan­ges und trin­ken davon, wäh­rend an den Ver­bren­nungs­stät­ten des Gan­ges zahl­rei­che Tote ver­brannt wer­den, um ihre Asche sodann dem hei­li­gen Fluss zu über­las­sen. Weil die Ganga ritu­ell rein und ritu­ell rei­ni­gend ist, kann sie für gläu­bige Hin­dus von mate­ri­el­lem Schmutz wie Abfall nicht ver­un­rei­nigt wer­den. So ist die Ambi­va­lenz des Flus­ses in der reli­giö­sen Kon­no­ta­tion der Ganga als hei­li­ger Fluss einer­seits und der Umwelt­ver­schmut­zung die­ses Flus­ses durch eine moderne Indus­trie­ge­sell­schaft ande­rer­seits eine blei­bende Herausforderung.

Das Was­ser ist als Mit­tel des Lebens in den Reli­gio­nen ein Geschenk Got­tes. Vor die­sem reli­giö­sen Hin­ter­grund wird Was­ser als All­ge­mein­gut ver­stan­den. Der Gedanke, dass jemand Was­ser besitzt, es zur Ware macht und damit han­delt, liegt den Reli­gio­nen fern. Was­ser darf als All­ge­mein­gut nicht vor­ent­hal­ten wer­den, als Geschenk Got­tes impli­ziert es viel­mehr das Recht aller Men­schen auf Was­ser. „Was­ser ist kein wirt­schaft­li­ches Gut wie jedes andere“ schreibt Leo­nardo Boff, einer der bedeu­tends­ten Ver­tre­ter der latein­ame­ri­ka­ni­schen Befrei­ungs­theo­lo­gie. „Was­ser ist so eng mit dem Leben ver­bun­den, dass wir es als Teil des Lebens und als etwas Hei­li­ges betrach­ten müs­sen. Das Leben kann nicht zur Ware gemacht werden.“

Die­ser Test ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 03/2023.

Von |2023-03-06T15:28:42+01:00März 6th, 2023|Religiöse Vielfalt|Kommentare deaktiviert für

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Matthias Blum ist Schulleiter an der meco Akademie Berlin und Privatdozent an der Freien Universität Berlin.