Helmut Hartung 4. Juli 2022 Logo_Initiative_print.png

Fle­xi­bler und teurer

Kein „beson­de­rer“ Kul­tur­auf­trag mehr für den öffent­lich-recht­li­chen Rundfunk

Insgesamt 8,26 Milliarden Euro flossen mit dem Rundfunkbeitrag 2021 an ARD, ZDF und Deutschlandradio. Das ist ein Plus von 3,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Hauptgrund für den Anstieg der Erträge ist die vom Bundesverfassungsgericht beschlossene Anpassung des Rundfunkbeitrags auf 18,36 Euro pro Monat, obwohl sie erst Anfang August 2021 wirksam wurde. An dieser für die Anstalten positiven Entwicklung wird auch der neue Auftrag für ARD und ZDF, dessen Entwurf die Regierungschefinnen und -chefs der Länder am 2. Juni gebilligt hatten, nichts ändern. Im Gegenteil: In einem Interview mit der FAZ hat der neue KEF-Vorsitzende Martin Detzel darauf verwiesen, dass die Höhe des Rundfunkbeitrages in erster Linie vom Auftrag bestimmt werde. Wenn der Auftrag im Wesentlichen gleich bleibe  – wie jetzt geplant – sei das reine Rechenarithmetik. So sei es angesichts der gegenwärtigen Inflationsrate, wenn die Kostenentwicklung hochgerechnet werde, keine Überraschung, dass die Beiträge nominal steigen könnten. Zudem verursache die Digitalisierung zunächst teilweise höhere Kosten, als sich durch Einsparungen ergäben. Und auch die Mitarbeiter hätten einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung.

Sechs Jahre nach der Bildung der Arbeitsgruppe „Auftrag und Strukturoptimierung der Rundfunkanstalten“ liegt jetzt der Entwurf des novellierten Medienstaatsvertrages vor, über den sich alle 16 Bundesländer einigen konnten. „Wir mussten ziemlich dicke Bretter bohren, aber das Reformpaket kann sich wirklich sehen lassen“ stellt dazu Dirk Schrödter, Chef der Staatskanzlei in Schleswig-Holstein fest. „Der Programmauftrag wird deutlich flexibler gestaltet. Das ist für mich Dreh- und Angelpunkt der Reform. Wir eröffnen den Anstalten die Möglichkeit, die Menschen da abzuholen, wo sie sind. Sie können weniger linear und mehr online machen. Die Mediatheken bekommen mehr Spielraum. Das ist folgerichtig im Zeitalter des sich stetig wandelnden Mediennutzungsverhaltens. Die Verantwortung der Gremien wird gestärkt. Nachhaltigkeit wird ein zentrales Kriterium. Und das öffentlich-rechtliche Profil der Angebote wird deutlich geschärft.“

Trotz der technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen müssten die Anstalten ihren Grundversorgungsauftrag gegenüber der Gesellschaft insgesamt auch weiterhin erfüllen, so Severin Fischer, Chef der Berliner Senatskanzlei. Durch die zunehmende Digitalisierung, Technisierung und Medienkonvergenz hätten sich die Formate, die Verbreitungswege und das Mediennutzungsverhalten der Menschen zuletzt grundlegend verändert. „Was sich dagegen nicht verändert hat, das ist die große Bedeutung des beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Er genießt nach wie vor hohe Akzeptanz, die wir nicht durch das Festhalten an starren Strukturen gefährden dürfen. Gleichzeitig soll auch der Auftrag geschärft werden, um das öffentlich-rechtliche Gesamtangebot klarer zu beschreiben“, sagt der für Medienpolitik zuständige Chef der Berliner Senatskanzlei.

Nachdem alle Länder den Entwurf unterschrieben haben, das soll bis Ende Juni der Fall sein, werden die Landtage informiert, die dem novellierten Medienstaatsvertragsentwurf auch zustimmen müssen. Anfang 2023 sollen die Änderungen in Kraft treten.

Unterhaltung muss einem öffentlich-rechtlichen Profil dienen

Zwar ist die „Strukturoptimierung“ auf dem weiten und steinigen Weg verloren gegangen, aber wenigstens die Auftragsoptimierung soll nun realisiert werden. Die geplanten Änderungen beziehen sich nur auf sechs der insgesamt 23 Paragrafen im Medienstaatsvertrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der beschlossene Entwurf unterscheidet sich nicht signifikant vom Papier, das in einer Online-Anhörung öffentlich zur Diskussion gestellt worden ist. Von den annähernd 2.700 Änderungsvorschlägen, die die Staatskanzlei in Rheinland-Pfalz erreichten, hat kaum einer Eingang in die Überlegungen der Länder gefunden.

Wer nun denkt, mit dem novellierten Auftrag sei eindeutig geregelt, wofür ARD, ZDF und Deutschlandradio die mehr als neun Milliarden Euro jährlich ausgeben dürfen, irrt sich allerdings. Das beginnt mit dem sogenannten „Profil“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. So lautet die neue Formulierung zum Unterhaltungsangebot: „Die öffentlich-rechtlichen Angebote haben der Kultur, Bildung, Information und Beratung zu dienen. Unterhaltung, die einem öffentlich-rechtlichen Profil entspricht, ist Teil des Auftrags.“ Das bedeutet, dass nur die Unterhaltungssendungen, die einem solchen Profil entsprechen, künftig im Programm angeboten werden dürfen. Das ist sicher eine Eingrenzung zur bisherigen Formulierung im Medienstaatsvertrag, nach der die Unterhaltung „auch“ einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechen müsse. Im Begründungstext zum Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag 2009 hatten die Länder festgehalten, dass ein öffentlich-rechtliches Angebotsprofil dadurch gekennzeichnet sei, dass insbesondere Trivialisierung und Boulevardisierung als programmliche Instrumente vermieden werden. Angesichts neuer gestalterischer und technischer Möglichkeiten reicht eine solch negative Beschreibung jedoch nicht aus, um öffentlich-rechtliche Unterhaltung zu definieren und von privaten Anbietern abzugrenzen. Zudem wird in der Öffentlichkeit zu Recht der hohe Anteil an Unterhaltungsformaten bei ARD und ZDF kritisiert, der damit nicht eingedämmt wird.

Kulturberichterstattung ist kein hervorgehobener Auftrag mehr

In der Debatte um die Auftragsnovellierung ist bisher eine wesentliche Änderung kaum beachtet worden. So heißt es im aktuellen Staatsvertrag, dass die Sender Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten hätten. Dieser „besondere“ Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird nun nicht mehr hervorgehoben. Kein gutes Vorzeichen für die geschrumpfte Zahl von Kultursendungen und -formaten.

Der Auftrag soll „in seiner gesamten Breite auf der ersten Auswahlebene der eigenen Portale und über alle Tageszeiten hinweg in den Vollprogrammen wahrnehmbar sein“. Mit anderen Worten: Nicht nur Krimis und Unterhaltung, sondern auch Dokumentarfilme müssen im Hauptabendprogramm ab 20.00 Uhr präsent sein.

Kern des Auftrags ist die Programmflexibilisierung

„Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben die Aufgabe, ein Gesamtangebot für alle zu unterbreiten“, so steht es jetzt im Text. Bei der Angebotsgestaltung sollen sie dabei die Möglichkeiten nutzen, die ihnen aus der Beitragsfinanzierung erwachsen, und tragen dabei durch eigene Impulse und Perspektiven zur medialen Angebotsvielfalt bei. Allen Bevölkerungsgruppen soll die Teilhabe an der Informationsgesellschaft ermöglicht werden. Um das zu erreichen, ist der Kern des neuen Auftrags die sogenannte Flexibilisierung, also eine verringerte lineare Beauftragung von TV-Programmen, und damit die Möglichkeit für die Anstalten, in Abstimmung mit den Gremien zu entscheiden, ob und ab wann bisherige lineare Angebote weitergeführt, in ein Online-Format umgewandelt oder sogar ganz eingestellt werden. Künftig sollen nur das Erste, das Zweite, die Dritten Programme sowie ARTE und 3sat linear beauftragt werden. Wenn der Medienstaatsvertrag so bestätigt wird, könnte der Bayerische Rundfunk relativ schnell ARD-alpha in eine Wissensplattform verwandeln und die ARD ihre Pläne für eine News-Plattform umsetzen. Auch dem ARD-Kulturportal, das endlich im Herbst dieses Jahres starten soll, steht formal nichts mehr im Wege.

Laut Entwurf sind die Fernsehprogramme, die nicht mehr linear weitergeführt werden müssen, jedoch weiterhin beauftragt; „die Beauftragung geht auf die überführten, ausgetauschten, wiederhergestellten oder veränderten Angebote über“, heißt es in dem Text. Die Gesamtzahl der Fernsehprogramme, die von den in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten bzw. dem ZDF veranstaltet werden, darf die bisherige Anzahl der verbreiteten Fernsehprogramme nicht übersteigen. Das bedeutet, dass die bisherigen Angebote wie Phoenix oder der KiKA nicht sofort abgeschaltet werden, sondern über die Umstellung auf ein Online-Angebot die Gremien entscheiden müssen. Damit ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk verpflichtet, auch weiterhin ein Angebot für Kinder und neben den Hauptprogrammen weitere Informationsangebote zu produzieren und zu verbreiten.

Nichteuropäische Serien künftig in der Mediathek, wenn sie öffentlich-rechtlichem Profil entsprechen

Verändert wurde die Bereitstellung von Spielfilmen und Fernsehserien in den Mediatheken. So sollen diese Werke, die europäischen und nichteuropäischen Ursprung sind, künftig nur dann für 30 Tage in die Mediatheken eingestellt werden, „wenn es sich um Beiträge zur Bildung oder zur Kultur handelt und sie in besonderem Maße zum öffentlich-rechtlichen Profil beitragen“. Bisher durften nichteuropäische Produktionen gar nicht in den Mediatheken präsent sein. Da findet er sich erneut, der unklare Begriff eines öffentlich-rechtlichen Profils.

Claus Grewenig, Vorstandsvorsitzender des Vaunet und Chief Corporate Affairs Officer bei RTL Deutschland, begrüßte die hier gefundene Anpassung an den ursprünglichen Entwurf, der keine Beschränkungen vorsah: Die Tatsache, dass der Auftrag künftig in seiner gesamten Breite im Tagesverlauf der Vollprogramme und in den Mediatheken wahrnehmbar sein soll, sei ebenso wie die Schärfung bei der Unterhaltung und die begrenzte Öffnung der Online-Auswertungsmöglichkeiten wichtig, weil alle Veränderungen bei ARD und ZDF sich unmittelbar auch auf die privaten Medien als „zweite Säule“ des dualen Systems auswirken würden, so Grewenig.

Fernseh- und Rundfunkräte sollen mehr Gewicht erhalten

Nach dem Willen der Länder werden die Rundfunk- und Fernsehräte künftig eine größere Rolle spielen und über die „Erfüllung des Auftrags sowie über eine wirtschaftliche und sparsame Haushalts- und Wirtschaftsführung“ wachen. Auch müssen sie Maßstäbe festsetzen, um die „Kontrolle der Ressourceneffizienz zu ermöglichen“. Um die Einhaltung des Auftrags besser überprüfen zu können, sollen nach dem Willen der Länder die Landesrundfunkanstalten, das ZDF und das Deutschlandradio Zielvorgaben festlegen, die von den zuständigen Gremien festgesetzt werden. „Die Richtlinien umfassen (…) inhaltliche und formale Qualitätsstandards sowie standardisierte Prozesse zu deren Überprüfung; die Richtlinien sind zu veröffentlichen und regelmäßig zu überprüfen“, heißt es dazu im Entwurfstext.

An einigen Stellen wurden in den Entwurf zudem Formulierungen eingefügt, die eine bessere Transparenz der Kosten und „Nachprüfung des Finanzbedarfs“ durch die KEF ermöglichen sollen. Erstmals können die Anstalten „für ein neues oder wesentlich geändertes Telemedienangebot einen ‚Probebetrieb‘ für sechs Monate starten, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, die sie für den Vorschlag für ein neues Telemedienangebot benötigen, Aufschlüsse über den voraussichtlichen Bedarf nach dem neuen Telemedienangebot zu erhalten oder neuartige technische und/oder journalistische Konzepte zu erproben“.

Die Länder gehen damit konsequent den Weg weiter, ihre Verpflichtung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, zu der sie laut Verfassung und auch dem Beihilferecht der EU verpflichtet sind, auf die Sender zu übertragen. Künftig sollen die Anstalten und die Gremien überwiegend allein verantworten, über welche Wege die Inhalte verbreitet werden, ob sie den Anforderungen an ein „öffentlich-rechtliches Profil“ genügen und den „Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“ entsprechen.

Nach dem Inkrafttreten des neuen Medienstaatsvertrages wollen die Länder in einem zweiten Schritt auch über die Art der Beitragsfestsetzung und die Ausgestaltung des Finanzrahmens Festlegungen treffen. Zur Diskussion steht weiterhin die Kopplung des Rundfunkbeitrags an einen Index, an dem sich regelmäßige Anpassungen des Beitrags orientieren könnten. Auch soll über Möglichkeiten der Budgetierung und der periodenübergreifenden Rücklagenbildung bei den Anstalten entschieden werden. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass es den Landesgesetzgebern verfassungsrechtlich freistehe, die Beitragsentscheidung durch Rechtsverordnung treffen zu lassen oder eine Mehrheitsentscheidung zu ermöglichen, um damit ein Debakel wie im Dezember 2020 im Landtag von Sachsen-Anhalt zu vermeiden.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2022.

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