Jens Balzer 1. Dezember 2021 Logo_Initiative_print.png

Hei­lige Hei­mat und neue Weltordnung

Motive des poli­ti­schen Popu­lis­mus in der aktu­el­len Popmusik

Mit stumpfem Sprechgesang schwingen die einen ihre überzüchteten Trizeps über die Bühne, predigen Hass auf Frauen, Schwule und Juden, während die anderen, völkische Deutschrocker, mit grobem Gitarrengeschrubbe patriotische Gefühle beschwören. Beim Blick in die Hitparaden der letzten Jahre kommt leicht der Verdacht auf, dass Popmusik nur noch reaktionäre Weltbilder pflegt. Der Echo 2018 endete glanzlos mit einem Skandal, weil die beiden Rapper Kollegah und Farid Bang mit einem Preis für das beste deutsche Hip-Hop-Album des Jahres geehrt wurden – obwohl sie darauf die Opfer der Shoah verhöhnen und obwohl das gesamte Werk nur so strotzt vor sexistischen und gewaltverherrlichenden Texten. Dennoch – oder muss man sagen, deshalb? – war die Platte in den ersten Monaten 200.000 Mal verkauft und 30 Millionen Mal gestreamt worden und erhielt darauf prompt den Preis, der die Kunst ehrte, obgleich er vornehmlich nach den höchsten Verkaufszahlen vergeben wurde. Einen ähnlichen Skandal hatte ein paar Jahre zuvor schon die erfolgreiche Südtiroler Band Frei.Wild ausgelöst, die ihren Deutschrock mit aggressiv patriotischen Texten bestückt.

Der Echo wurde nach dem Kollegah-und-Farid-Bang-Skandal abgeschafft. Aber das ändert nichts an der gewonnenen Einsicht, dass sich der Mainstream bedenklich nach rechts verschoben hat. Wie konnte es dazu kommen? Hatten wir nicht früher einmal geglaubt, dass Pop sich auf der Seite der Aufrechten, der doch eher links Engagierten befindet? War Pop nicht immer schon ein Medium der Schwachen und der Minderheiten, der Emanzipation? Diese Fragen stellen sich heute viele, und der Kulturkritiker Georg Seeßlen hat denn sogar schon das Ende der Popmusik als emanzipatorischer Ausdrucksform verkündet: „Die Legende, dass unsere Musik, unsere Filme, unsere Comics automatisch mit dem Progressiven, Sozialen und Liberalen, mit der Verbesserung der Welt verbunden sein müssten, mit dem Geschmack von Freiheit, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit – diese Legende haben wir schon seit geraumer Zeit begraben. In beinahe jedem musikalischen Genre, jeder Mode, jedem Medium hat sich ein dezidiert rechtes bis faschistoides Segment gebildet.“ Es gebe, so Seeßlen, eine „Infiltration durch rechtspopulistische und neofaschistische Kräfte, Identitäre, Neue Rechte, Neocons, Volkstreue und wie auch immer sich das alte Gebräu in den neuen Flaschen nennen mag“, kurz: im Pop der Gegenwart herrsche eine „rechte Hegemonie“ (Seeßlen, „Is This the End? Pop zwischen Befreiung und Unterdrückung“, Berlin 2018).

Ich glaube, dass Seeßlens Diagnose einerseits zutreffend ist, andererseits aber zu kurz greift. Der Pop scheint mir weniger „infiltriert“ zu sein durch rechtspopulistische und neofaschistische Kräfte – als dass er vielmehr eine gesellschaftliche Verschiebung nach rechts spiegelt und auch bereits kulturell vorweggenommen hat, bevor sie sich in der jüngeren Vergangenheit politisch entäußert hat.

Worin besteht diese Verschiebung? Im gewachsenen Verlangen nach Tradition, Herkunft und Identität; nach patriarchalen Verhältnissen und einer weniger komplizierten, übersichtlicheren Welt; im Verlangen nach Abgrenzung und Grenzen; in der Abwehr von allem, was man als anders empfindet. Diese Verschiebung ist eine kulturelle; sie läuft dem politischen Wandel seit Jahren voraus und hat ihn mit vorbereitet. Man findet sie in verschiedenen Feldern, besonders deutlich aber in der Popmusik. So sind unter den erfolgreichsten Rockmusikern im deutschsprachigen Raum seit wenigstens einem Jahrzehnt viele Künstler und Gruppen, die sich als patriotisch, traditions- und heimatbewusst inszenieren; etwa die schon erwähnte Südtiroler Band Frei.Wild oder der österreichische „Volks-Rock ’n’ Roller“ Andreas Gabalier, der in seiner Musik nostalgische Heimat- und Volksmusikmotive mit nicht minder nostalgischen Rock ’n’ Roll-Klängen aus den 1950er Jahren verbindet. Damit ist Gabalier zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Popmusiker aufgestiegen. Und das nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland.

Das ist die eine Seite. Aber die andere ist: Ausschlaggebenden Anteil an der Durchsetzung reaktionärer politischer Inhalte im deutschsprachigen Hitparaden-Mainstream hatten nicht nur patriotische Rocker aus Deutschland, Österreich oder Südtirol. Sondern vor allem auch Deutsch-, Gangsta- und Straßenrapper mit migrantischem, oft muslimischem Kulturhintergrund wie Bushido, Xatar, Haftbefehl und Farid Bang. Dass paläolithischer Maskulinismus und Misogynie, roher Sexismus, Homophobie, Rassismus, Hate Speech und – in pophistorisch bislang unbekanntem Ausmaß – auch antisemitische Stereotype und Verschwörungstheorien in den Charts anzutreffen sind: Das haben wir keinen AfD- oder FPÖ-nahen Patrioten zu verdanken, sondern gerade Künstlern aus jener Bevölkerungsgruppe, die die deutschen Rechtspopulisten am liebsten irgendwohin „abschieben“ möchten – die ihnen weltanschaulich aber in Wahrheit viel näher stehen, als man es sich in den offiziellen Verlautbarungen eingesteht.

Diese sonderbare Dialektik gehört zur kulturellen Rechtsverschiebung im Pop wesentlich hinzu: Seit anderthalb Jahrzehnten bewähren sich die rappenden Penisse aus dem Migranten-Hip-Hop als nützliche Idioten für den Rechtspopulismus, der sie einerseits als tabulose und unzivilisierte Sprachrohre seiner Ideologie braucht sowie andererseits als klischeehafte Feindbilder. Denn als muslimisch geprägte Parallelweltbewohner mit einer gern ausgestellten Nähe zur organisierten Kriminalität entsprechen sie ja gerade dem Schreckbild, das der rechte Flügel der Konservativen und die AfD von nicht integrationswilligen Migranten zeichnen. So dienen sie gleichermaßen als stereotype Verkörperung der vom Populismus beschworenen Gefahr eines gescheiterten Multikulturalismus – und als Protagonisten jenes patriarchalen Männlichkeits- und Gesellschaftsbilds, das im innersten Kern der rechtspopulistischen Ideologie liegt.

Der Hass auf Frauen und Schwule – „Berlin wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel“ hieß es schon 2003 bei Bushido – und auf den grassierenden „Genderwahnsinn“ (Gabalier) ist eine wesentliche Konstituente des rechtspopulistischen Weltbilds. Eine andere ist die Sehnsucht nach einer von den Zersetzungskräften der Globalisierung unangekränkelten Heimat und Tradition: „Ich dulde keine Kritik / an diesem heiligen Land / das unsere Heimat ist“, heißt es etwa bei Frei.Wild in dem Lied „Südtirol“. Freilich findet sich die Liebe zu Heimat und Herkunft auch bei vielen anderen, äußerst erfolgreichen Bands, die sich selber als unpolitisch oder sogar als linksgeprägt bezeichnen würden – etwa bei der norddeutschen Gruppe Santiano, die Rockmusik mit Seemannslied- und Piratenromantik-Motiven verbindet und gerade wieder mit ihrem neuen Album auf den ersten Platz der deutschen Hitparade gekommen ist; oder bei den zahlreichen Mittelalter-Rockbands wie In Extremo oder Schandmaul. Gegen den lange Zeit vorherrschenden Kosmopolitismus des Pop beschwören sie alle in mehr oder weniger modernisiertem Gewand nationale oder regionale Musik- und Motiv-Traditionen. Im breiten Zuspruch für diese Bands scheint sich mithin ein Bedürfnis nach Heimatpflege zu äußern, das – in vorpolitischer Weise – für breite Publikumsschichten gilt, unabhängig von sonstigen ideologischen Einstellungen.

Ungeachtet solcher generellen Verschiebungen in der popkulturellen Mentalität verfügten die politischen Protagonisten des neuen Rechtspopulismus selber lange Zeit über keinen eigenen Soundtrack. Weder AfD noch Pegida noch der subkulturelle Arm der Bewegung, die Identitären, hatten Rockbands, Rapper oder auch nur Liedermacher von nennenswerter Bedeutung aufzuweisen, die sich ausdrücklich zu ihnen bekennen würden. Auch das hat sich jedoch inzwischen geändert – angefangen mit dem Erfolg des identitären Rappers Chris Ares im Herbst 2019 mit seinem Track „Neuer deutscher Standard“. Darin rappt er gegen die sogenannten „Autotune-Migranten“ und die „Clan- und Vergewaltigungsrapper“, gegen welche er wieder „Werte und Patriotismus“ in den Hip-Hop einführen will; und schaffte es damit auf Platz 1 der Amazon-Charts.

Wesentlichen Aufschwung erhielt der rechtspopulistische Hip-Hop dann allerdings durch den Umstand, dass sich der rechtspopulistische Diskurs zusehends auf die Kommunikation von Verschwörungstheorien zu verschieben begann; wir haben das alle während der Coronapandemie und der Entstehung der sogenannten Querdenker-Szene im politischen Feld beobachten können. Verschwörungstheorien haben im Hip-Hop schon vorher eine Rolle gespielt, man kann das bis zu den Anfängen des US-amerikanischen Hip-Hop zurückverfolgen und zu dessen Verflechtungen mit der „Nation of Islam“ des antisemitischen Predigers Louis Farrakhan. In Deutschland war es schon bei Kollegah so, dass sich dessen antisemitische Überzeugungen nicht nur in einzelnen Textzeilen widerspiegelten – wie beim Echo dann skandalisiert –, sondern etwa schon auch in seinem Video „Apokalypse“ aus dem Jahr 2016. Das zeigt eine epische Geschichte der Menschheit im Kampf gegen das Böse – welches als gesichtsloser Herrscher mit einem Davidstern-Ring am Finger porträtiert wird, der das weltweite Bankensystem insgeheim kontrolliert. Am Ende kann er besiegt werden, und nachdem das Böse verschwunden ist, bauen Christen, Muslime und Buddhisten die Welt wieder auf.

Bei dem Rapper Ukvali hieß es 2015 in seinem Track „Killumination“: „Immer wenn ich rap, ist ’ne Botschaft im Anflug / Es geht um Banker, Kokser im Anzug / Sie kontrollieren die Nachrichtensender / Sie berichten von Krisen in islamischen Ländern / Sie würfeln nicht, nein, sie verschwören sich / Fakt ist, die Wahrheit wird nie veröffentlicht / Die Elite will uns am Boden halten“. Gemeinsam mit Chris Ares und dem Rapper Absztrakkt brachte er 2019 das Stück „Sündenpfuhl der Macht“ heraus, und Absztrakkt (inzwischen unter dem Namen Galstarr) und Ukvali finden sich dann auch wieder auf einem Hip-Hop-Track mit dem Titel „Ich mach da nicht mit“ aus dem Frühjahr 2021, der sich als Hymne der Querdenker-Bewegung versteht und eine Art Klassentreffen aller querdenkenden Musiker des Landes darstellt. Zu den weiteren Beteiligten gehört ein aus dem Ruhrpott stammender Rapper namens Goethe – da haben wir dann auch den Bezug der Querdenker zur Waldorfbewegung –; ein Rapper, der früher als Qdenka firmierte und sich nun Holy Smokez nennt; und Xavier Naidoo, in dessen Beitrag es heißt: „Ich mach’ da nicht mit / Es kann gar nicht sein, euer Gift kommt niemals in uns’re Körper rein / Die Geschwister und ich, wir wagen den Schritt: Wir machen nicht mit“.

„Truth-Rap“ nennen die Beteiligten selbst dieses Genre. In dem Beitrag des Rappers Beatus zu dem Stück „Ich mach da nicht mit“ heißt es exemplarisch: „Ich mach’ da nicht mit, sie woll’n dass ich mich impf’ / Die Wirtschaft wird gefickt und die Masken sind Pflicht. / Hab vor acht Jahr’n schon damals die Lage geblickt / und es wird alles wahr, doch die Schafe sind blind. / Satanische Sklaven sind apathisch und sick, / Ich sag’: ‚Fuck NWO‘ und bewahr’ mein Gesicht.“ Hier zeigt sich der populistische Blick auf die Welt in seiner elementarsten Gestalt: Rapper stellen sich als Widersacher herrschender Eliten dar (NWO ist natürlich die Abkürzung für „Neue Weltordnung“), denen sie wahres, authentisches Wissen entgegenstellen und einen Durchblick, den die Mehrheit des Volkes (die „Schafe“) gerade nicht besitzt. Vielleicht lässt sich im „Truth-Rap“ – vor aller konkreten politischen Positionierung – auch ein weiterer Ausdruck des spezifischen Maskulinismus erkennen, der gerade den Deutschrap auszeichnet. Dass es sich meistens, wie ich schon sagte, um rappende Penisse handelt, das drückt sich eben nicht nur in Frauenverachtung aus, sondern auch in der Überzeugung, alles besser zu wissen als der Rest der Welt und dementsprechend alles besser erklären zu können. Deutsche Rapper sind Inbegriffe dessen, was man gerne „Mansplainer“ nennt. Meist sind ihre Sprechgesangstexte lediglich unangenehm angeberisch und dabei auch doof; im Truth-Rap gleitet diese Disposition ins politisch Reaktionäre ab.

Im Truth-Rap mit seinen Verschwörungstheorien und seiner Nähe zur Querdenker-Bewegung sind Schnittstellen mit der Neuen Rechten entstanden, die allerdings nicht stabil sind. Denn die Neue Rechte – und ihr parlamentarischer Arm, die AfD – hat ja von vornherein große Schwierigkeiten damit gehabt, sich die frei flottierenden Impulse der Querdenker-Bewegung zu eigen zu machen. Dazu war man sich lange selbst nicht sicher genug, ob man in der politischen Bearbeitung der Pandemie – wie zu Beginn in den Äußerungen der AfD – auf den starken, autoritären, kontrollierenden Staat setzen soll oder – wie später – dann nicht doch lieber auf den anarchisch-querdenkerischen Widerstand gegen die Autoritäten. Und so fragil wie die Beziehungen der Neuen Rechten zum Querdenkertum bleiben letztlich auch ihre Beziehungen zur Popmusik und im Besonderen zum Hip-Hop – dazu sind ihren Protagonisten und (wenigen) Protagonistinnen kulturelle Identität und die daraus resultierenden kulturellen Reinheitsgebote zu wichtig. Durch letztere werden alle popmusikalischen Formen geächtet, die nicht von rein deutschen, rein weißen, heterosexuellen Männern unter Ausschluss afroamerikanischer oder sonstiger nichtweißer, nichtdeutscher Einflüsse vorgetragen werden – wonach, wie man sich vorstellen kann, nicht mehr viel übrig bleibt. Den dogmatischen Spitzen der neurechten Bewegung ist Popmusik mentalitätsgeschichtlich prinzipiell fremd – denn Popmusik gründet ästhetisch schon immer auf Hybridität, auf der Vermischung von kulturellen Traditionen, auf der Globalisierung.

Kann man also sagen, dass die konstitutive Hybridität des Pop ein utopisches Gegenbild bietet gegen die identitären Verhärtungen des kulturellen und politischen Rechtspopulismus? Einerseits ja: In der kulturellen Situation, in der wir uns befinden, gibt es jenseits von Phänomenen wie dem reaktionären Deutschrock und Deutschrap eben auch breite Strömungen des Pop, die emanzipatorisch und transgressiv, global und eklektizistisch sind; insbesondere im Feld der elektronischen Klubmusik und der dazugehörigen Avantgarde. Hier sind schwule, lesbische, nichtbinäre Kunstschaffende so sichtbar wie noch nie.

Andererseits steht dieser Eklektizismus auch unter zunehmender und immer vehementerer Kritik durch die Sachwalterinnen und Sachwalter einer linken Identitätspolitik. Diesen gilt die Vermischung verschiedener Stile und Traditionen als abzulehnende „cultural appropriation“. Denn egal, was man womit vermischt – man bekräftigt in dieser Perspektive damit immer irgendein Machtverhältnis; es findet sich garantiert immer irgendein Opfer, das durch die Aneignung der „eigenen“ Tradition in seiner Souveränität verletzt wird.

Wer von der wachsenden Hegemonie identitärer Vorstellungen in der Popkultur reden will, darf sich also nicht nur auf die Seite der Rechtspopulisten beschränken: Die Abwehr des anderen und des Hybriden, die Beschwörung der kulturellen Identität und die daraus resultierende Verhärtung hat gegenwärtig alle politischen Lager ergriffen. Für die Kritik des Pop kann das nur heißen, dass sie einen Ort jenseits der verfestigten Frontlinien suchen muss: Die Utopie, die Popmusik immer noch bietet – dass es ein Leben und eine Kultur jenseits der überkommenen Traditionen und Identitäten, jenseits der irdischen Grenzen und Territorien gibt –, muss heute stärker denn je gleichermaßen gegen die Kräfte der linken und rechten Identitätspolitik, gegen die Kräfte der linken und rechten Reaktion verteidigt werden.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2021-01/2022.

 

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