Johann Hinrich Claussen 5. November 2021 Logo_Initiative_print.png

Lust am Wort

Spra­che ist Hei­mat und Kampfplatz

Heute breche ich zur Abwechslung mit einem meiner hehrsten Grundsätze: Wenn alle Welt sich über ein Thema erregt, suche ich mir lieber ein anderes. Sind ja schon genug, die sich in hitzigem „Pro und Contra“ erschöpfen. Gibt ja noch anderes. Doch weil Sprachfragen immer auch Glaubensfragen sind, komme ich nicht darum herum, auch über ein angemessenes Reden und Schreiben nachzudenken.

Dass die eigene Sprache immer zugleich eine Heimat und ein Kampfplatz – um nicht gleich „Schlachtfeld“ zu sagen – ist, habe ich das erste Mal im Ausland erfahren. Nach meinem Studium habe ich ein Jahr lang in einer evangelischen Kirchengemeinde in Argentinien gearbeitet. Ursprünglich wurde hier nur Deutsch gesprochen, inzwischen hatte Spanisch die Vorherrschaft errungen. Es war ein komplizierter, zäher, erbitterter Streit, der mir zeigte, wie Integration funktioniert oder auch nicht. Früher war Deutsch in der Gemeinde die Sprache der Dominanten gewesen, jetzt war daraus die Sprache der Abgehängten geworden. Wer im „pueblo“ lebte und erfolgreich Handel trieb, sprach die Landessprache. Wer im „Wald“ seine Felder bestellte, konnte nur die Herkunftssprache. Welche Sprache nun sollte ich im Gottesdienst sprechen? Instinktiv war ich aufseiten der Modernen, Spanischsprechenden. Aber ich lernte, Rücksicht zu nehmen auf die Alten und Armen. Für sie war Deutsch das Idiom ihrer Seele. Herznah war ihnen das „Vater unser“, nicht das „Padre nuestro“ – älteren türkischen Einwanderern mag es in ihren Moscheen ähnlich ergehen. So habe ich für sie gern in regelmäßigen Abständen auf Deutsch gepredigt, denn das war ihre innere Heimat. Allerdings war ihr „Misiones“-Deutsch schon weit von dem Hochdeutsch entfernt, das ich von Zuhause mitgebracht hatte. Denn die Sprache verändert sich aus eigener Kraft, oft unbewusst, egal ob wir sie schützen oder verändern wollen. Deshalb muss man eine Balance finden aus Entwicklung und Bewahrung, Kompromisse suchen für unterschiedliche Gelegenheiten und Personengruppen. Die evangelische Kirche – und nicht nur sie – sollte mithelfen, Kampfplätze zu räumen und Schlachtfelder zu bepflanzen. Darum ist es so wichtig, welche Art von Sprache in ihr gesprochen wird. Sprache ist Inbegriff des Vertrauten, Muttersprache, und zugleich stets im Wandel, ein Fluss. Das muss kein Widerspruch sein, kein Problem darstellen. So ist das Leben ja überhaupt: ein Bleiben und ein Gehen. Schwierig wird es erst, wenn es zur politischen Machtfrage ausartet, was leider häufig nicht ausbleiben kann. Es sei daran erinnert, dass unser heutiges Hochdeutsch keineswegs naturwüchsig entstanden, sondern auch das Ergebnis lang zurückliegender Kämpfe ist, in denen z. B. unterschiedliche Formen des Niederdeutschen zurückgedrängt und Dialekte marginalisiert wurden. Die Sprache also, die einige Rechtspopulisten konservieren wollen, ist selbst die Folge und auch das Ergebnis von Heimatzerstörung und unzähliger Veränderung. Martin Luthers Bibelübersetzung hatte daran ihren epochalen Anteil.

In diesem weiten historischen Horizont stehen die gegenwärtigen Debatten um eine geschlechtersensible Sprache. Sie sind keineswegs neu. Manches hat sich längst durchgesetzt, anderes nicht – z. B. „frau“ statt „man“. In meiner Kirche hat dies viel Gutes gebracht. Wenn man heute die „Jüngerinnen Jesu“ benennt, hat dies nichts mit „Political Correctness“ zu tun, sondern ist schlicht sachgerecht, die notwendige Korrektur einer übermächtigen Männertradition. Auch in der Gemeinde des Paulus haben Frauen keineswegs nur geschwiegen, schließlich hatte er viele bedeutende „Mitarbeiterinnen“. Vor allem ist „Herr“ nicht der einzige Name Gottes. An solche Fortschritte kann man anknüpfen und schauen, was nächste Schritte sein können. Dabei sollte man der deutschen Neigung zu verwaltungstechnischer Konsequenzenmacherei nicht nachgeben. Das wirkt oft beflissen oder angestrengt. Ratsamer ist es, darin eine kreative Aufgabe zu sehen. Wie schreibe und spreche ich angemessen, öffnend, einladend? Und wie machst du es? Fixe Regeln helfen hier eher selten. Man muss es ausprobieren. Ich z. B. halte den Genderstern keineswegs für Teufelszeug, aber noch nicht für der Weisheit letzten Schluss.

Aber es gibt ja auch andere Möglichkeiten. So habe ich bei meinen Sprachbasteleien festgestellt, dass sich viele Probleme – gendern ja oder nein? – vermeiden lassen, wenn man weniger pauschalisierend über Gruppen und konkreter, individueller spricht. Eigentlich bereitet es Freude auszuprobieren, was geht, was angemessen ist, sachlich richtig, stimmig, aber auch schön klingt, fließt, lockt – je nach Situation, Ort und Gegenüber. Überkorrektheit hilft da nicht so weiter, wütend erregte Veränderungsfeindschaft schadet sogar. Was es braucht, sind Sprach- und Menschenfreundlichkeit, Lust am Wort und Interesse an den Nächsten, Neugier und Rücksichtnahme, Kreativität und Demut – in der Kirche und anderswo.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2021.

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