Barbara Gessler 2. September 2021 Logo_Initiative_print.png

Teil­nahme fördern!

Krea­ti­ves Europa und Inklusion

Seit Ende Mai dieses Jahres ist das Programm Kreatives Europa in Kraft und vermutlich sind viele Organisationen im Kulturbereich entweder in der stressigen Endphase der Fertigstellung eines Projekts oder haben gerade glücklich ihre Idee zur Förderung eingereicht. Angesichts der andauernden Konsequenzen aus der Coronakrise für die Kulturbranche stellt die Europäische Union gerade für die ersten Jahre des Programms erhöhte Mittel zur Verfügung und hat die Zugänglichkeit bewusst erhöht.

Dieser Abbau von Hindernissen ist auch Teil der Umsetzung einer gezielten politischen Vorgabe des Programms zur Förderung von Inklusion, Chancengleichheit, Teilhabe und Diversität. Dieses Ziel umfasst jedoch nicht ausschließlich die Teilnahme von Menschen mit Behinderung am künstlerischen Prozess und als Zuschauer oder Publikum, sondern schließt explizit Minderheiten und sozial marginalisierte Gruppen ein.

Kreatives Europa ist damit ein wichtiger Bestandteil der umfassenden und politikübergreifenden Strategie der Europäischen Union für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2021-2030, die im März verabschiedet wurde. Beschleunigt durch die Effekte der Krise hat die Kommission ein ehrgeiziges Programm aufgelegt, das alle Aspekte des Lebens mit Behinderungen berührt, ausgehend von dem im Vertrag verankerten Gleichheitsgrundsatz als wesentlichem Eckpfeiler ihrer Politik.

Besserer Zugang zu Kunst und Kultur steht ebenso wie z. B. zu Sport oder Tourismus für volle gesellschaftliche Teilhabe, die außerdem erwiesen positive Auswirkung auf das Wohlergehen des Einzelnen und der Gesellschaft haben und die Möglichkeit zur Entfaltung und Nutzung ihres individuellen Potenzials bieten. In diesem Dokument, das sowohl die Aktionen und Selbstverpflichtungen der Kommission umfasst wie auch Forderungen an die Mitgliedstaaten, wird Kreatives Europa explizit als ein mögliches Programm zur Förderung der Sichtbarkeit von Kunst und Kultur von Menschen mit Behinderungen genannt, das außerdem dazu beitragen kann, Kultur und kulturelles Erbe zugänglich und behindertengerecht zu gestalten. Aufgrund des für den Kulturbereich geltenden Subsidiaritätsprinzips werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, Kunst von Menschen mit Behinderung zu ermöglichen und zu fördern und durch Ausstellungen und Performances auf sie aufmerksam zu machen sowie für besseren Zugang bei Kunstsammlungen und Museen zu sorgen.

MEDIA als Teil von „Kreatives Europa“ ist sowieso der Umsetzung der Richtlinie Audiovisuelle Mediendienste verpflichtet, die als eines ihrer wesentlichen Ziele die Wahrung der menschlichen Würde und das Verbot von Diskriminierung für kommerzielle Kommunikationen vorsieht.

Ein wesentlicher Gesichtspunkt, den Kultur und Film bei der Umsetzung von Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung einbringen, liegt in der wichtigen gesellschaftlichen Rolle, die sie bei der Bekämpfung von Stereotypen spielen und der Möglichkeit, „Role Models“ anzubieten.

Bereits während der ersten Programmlaufzeit wurde eine beträchtliche Anzahl insbesondere an grenzüberschreitenden Kooperationsprojekten gefördert, die durch Austausch und gemeinsame kreative Prozesse konkrete Beispiele für Inklusion aufzeigen. So möchte etwa das „Festival of Love“, koordiniert vom Centrum Kultury Wrocław-Zachód in Polen mit Organisationen in Spanien und Rumänien, die soziale Aktivität von Menschen mit Behinderung insbesondere mit Blick auf das kulturelle Erbe ihres jeweiligen Herkunftslandes aufzeigen. Wie Menschen mit etwa eingeschränkter Hörfähigkeit in den vollen Genuss von Musik kommen können, wollen Partner aus Belgien, Irland und Großbritannien des „Creative Accessibility Network“ unter der Koordinierung der niederländischen Stichting Possibilize entwickeln, indem sie andere Sinne in Livemusikveranstaltungen einbringen. Bereits in seiner zweiten Förderperiode baut das europäische Projekt „ImPart“ um die Freunde und Förderer von Un-Label in Köln mit Partnern aus Italien, Griechenland und Armenien seine Erfahrungen aus. Dabei steht der Gedanke im Mittelpunkt, wie darstellende Künste notwendige Hilfsmittel etwa der Audiodeskription oder Gebärdensprache nicht als außerhalb der Ästhetik des kreativen Prozesses, sondern bewusst als ein Teil dessen gestaltet und wahrgenommen werden können. Eine solche innovative Herangehensweise wird in Workshops, Masterklassen, Symposia, aber auch in Residenzen studiert und erfahren. Aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern mit Behinderung aus ganz Europa kann dank des Projekts ihrem Talent eine Bühne geboten werden. Das große Kooperationsprojekt im Theater- und Tanzbereich „Europe beyond access“ unter Mitwirkung von Kampnagel in Hamburg zielt auf die Entwicklung exzellenter zeitgenössischer Formate, aber soll auch etwa der besseren Durchsetzung der Interessen der Künstlerinnen und Künstler und ihrer Wahrnehmung dienen. Auch im Rahmen der Literaturübersetzungen haben Verlage entsprechende Vorhaben vorgelegt und die Europäischen Kulturhauptstädte widmen regelmäßig Aktivitäten dem Gedanken der Inklusion.

Für die kommenden sieben Jahre hat Kreatives Europa den Gedanken der Inklusion jedoch noch einmal besonders hervorgehoben. Neben dem besonderen Erwähnungsgrund, der die Verpflichtung, zu einer inklusiven Gesellschaft beizutragen, enthält, ist insbesondere auf Drängen des Europäischen Parlaments ein gesonderter Artikel zum Europäischen Mehrwert des Programms aufgenommen worden, der unter anderem vorsieht, dass es geeignete Mechanismen enthalten soll, die den Zugang zu Kultur, die aktive Teilhabe daran, sowohl als Zuschauende als auch im kreativen Prozess, befördern und ermöglichen.

Die Formulierung dieses Artikels soll im Aktionsbereich Kultur des Programms weniger durch gezielte Ausschreibungen realisiert werden, sondern vielmehr als eine übergreifende Aufforderung verstanden werden, Projekte mit einer solchen Zielsetzung entsprechend zu evaluieren und zu berücksichtigen. So soll die kreative Qualität der Projekte nach wie vor im Mittelpunkt der Förderung stehen und die Erfahrung der vergangenen Periode zeigt eindeutig, dass die europäischen Kulturakteure bereits weit fortgeschritten sind in der Realisierung des Ziels einer besseren Inklusion. Konkret wird in der Ausschreibung für Kooperationsprojekte etwa, die den Löwenanteil der finanziellen Unterstützung beanspruchen dürfen, besonders darauf hingewiesen, dass unter dem Schwerpunkt Innovation auch die soziale oder gesellschaftliche Dimension verstanden werden kann. Initiativen etwa, die sich speziell dem Thema soziale Inklusion widmen möchten, könnten solche Projekte vorlegen. Kreatives Europa will dazu beitragen, dass Kulturorganisationen grenzüberschreitend weiterhin voneinander lernen und sich gemeinsam fortentwickeln können, zugunsten der Menschen mit Behinderung als auch ihrem europaweiten Publikum, das bereichernde Erfahrungen und Entdeckungen wird machen können.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.

Copyright: Alle Rechte bei Initiative kulturelle Integration

Adresse: https://www.kulturelle-integration.de/2021/09/02/teilnahme-foerdern/