Ursula Gaisa 5. Mai 2021 Logo_Initiative_print.png

Vom sin­gen­den Schau­spie­ler zum Sozialunternehmer

Shai Hoff­mann im Porträt

„Ich bin ein junger Mann, der in Berlin-Schöneberg lebt, in Berlin aufgewachsen ist und relativ viel rumkommt dank seines Jobs. Und was mach ich eigentlich, das frag ich mich auch den lieben langen Tag“, erzählt BWLer Shai Hoffmann in seinem Podcast „Auf einen Cay mit Shai“. Fakt ist, dass der 1982 Geborene mit „Ach und Krach“ seinen Realschulabschluss geschafft hat und seine Eltern ihn zu einer Ausbildung zum Hotelfachmann überredet haben. Schon da wollte er eigentlich nur singen, was er nach Abschluss der Lehrzeit auch endlich machen durfte.

Shai Hoffmann wuchs als Kind jüdischer Eltern in einer Art Kokon auf: erst in einem jüdischen Kindergarten im Grunewald, anschließend in einer Grundschule, die auch jüdischen Religionsunterricht anbot. Erst in der Oberschule musste er Bekanntschaft mit Anfeindungen bezüglich seiner religiösen Zugehörigkeit machen. In das Jubiläum 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland 2021 setzt er Erwartungen: „Ich hoffe, dass jüdisches Leben medial endlich anders präsentiert und dargestellt wird. Denn es ist bei Weitem nicht so konservativ und orthodox, sondern – jedenfalls hier in Berlin – modern, divers und aufgeschlossener, als man denkt. Ich würde mir wünschen, dass man das Judentum endlich in all seinen Facetten zeigt.“

2003 trat er bei der Casting-Show „Star Search“ auf, ein Sprungbrett in eine Karriere als Schauspieler in Vorabendserien wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, „Verliebt in Berlin“ oder „Verbotene Liebe“. Noch heute ist er dankbar für die Erfahrungen aus dieser Zeit, nach Differenzen mit seiner Produktion und einer Sinnkrise entschied er sich aber 2008 für ein BWL-Studium im zweiten Bildungsweg: „Mit zunehmendem Alter kam die Frage nach einer Tätigkeit mit Sinn. Ich wollte auch nicht mehr abhängig sein von Regisseuren oder Produzenten, die vor allem mein Äußeres gut finden.“

Nach einem Auslandssemester in New York und vielen neuen Erfahrungen und Kontakten gründete er nach dem Studium ein nachhaltiges Modeunternehmen, und im Laufe der Jahre wurden seine Aktivitäten immer politischer und sozialer. Viele seiner Ideen und Aktionen finanzierte Shai Hoffmann über Crowdfunding und berät inzwischen als Coach andere, die auch nicht über Kredite oder herkömmliche Finanzierungsmöglichkeiten ihre Ziele erreichen möchten: „Wenn von vielen Menschen jeweils ein bisschen Geld zusammenkommt, summiert sich das letztendlich, und dann kann man gemeinsam seine Ideen verwirklichen.“

Sein erstes Demokratie-Printmagazin „DEMOS MAG“ erscheint im August, es wird auch über Crowdfunding finanziert, wie bereits neun andere Projekte des umtriebigen Aktivisten, der immer mehrere Projekte gleichzeitig am Start hat. „Bus der Begegnungen“, „Demokratie-Bus“, „TinyHouse Grundgesetz“, um nur einige zu nennen. „Ich bin wachsam, alles was gesellschaftspolitisch in Deutschland passiert, interessiert mich. Mein Hauptjob ist es, mich mit Menschen auszutauschen. Viele meiner Ideen und Inspirationen schöpfe ich aus diesen Treffen. Normalerweise beginnt das früh am Morgen im Café. Zurzeit pandemiebedingt auf Kaffeespaziergängen.“

Shai Hoffmann ist Mitinitiator und Sänger bei den BookRappers, die andere für Texte begeistern wollen, die für sie prägend und inspirierend sind. Mit ihren Rap-Versionen möchten sie Menschen erreichen, die nicht gerne lesen, aber aus den klugen Texten viel schöpfen können. Komplizierte Fragestellungen werden durch das Rappen ganz anders zugänglich, verständlich und gehen nah.

Am 13. April ist das Musikvideo der Book­Rappers zu den 15 Thesen „Zusammenhalt in Vielfalt“ der überparteilichen Initiative kulturelle Integration erschienen und unter anderem auf YouTube einsehbar. Das vom Deutschen Kulturrat ins Leben gerufene Bündnis aus 28 Organisationen der Zivilgesellschaft, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Medien, Sozialpartnern, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden will damit insbesondere junge Menschen erreichen. Denn „die Debatte um die Integration ist oft sehr schwierig. Niemand bestreitet die Notwendigkeit von Integration, doch nur wenige wollen sich mit der Frage beschäftigen, wer in was integriert werden soll. Wir haben mit unseren 15 Thesen den Versuch gemacht, Antworten zu geben“, so Olaf Zimmermann, der Sprecher der Initiative. Mithilfe von Musik – Hip
Hop und Soul, einer gemeinsamen Sprache – soll das Berliner Trio mit Hoffmann, dem Architekten Van Bo Le-Mentzel und Produzenten Saeed Ibrahim so Begegnung ermöglichen, neue Zugänge zu den Werten des Grundgesetzes schaffen und Grenzen überwinden.

2020 war Shai Hoffmann mit dem „Bus der Zukunft“ für das Jüdische Museum in Frankfurt unterwegs, das im Herbst wiedereröffnet wurde. „Das war sehr spannend. Viele Frankfurter sind sich auch der besonderen historischen Bedeutung des Judentums in Frankfurt bewusst. So wurde sozusagen das Museum in die Stadt getragen, die Resonanz war sehr gut.“

Und was wünscht sich der junge Vater für die Zukunft? „ich wünsche mir, dass Schulen Orte der Selbstentfaltung werden, wo Talente gefördert werden. Das führt dann unweigerlich dazu, dass wir selbstbewusstere Erwachsene bekommen, die sich im Klaren darüber sind, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der alles nur funktioniert, wenn man sich einbringt, mitgestaltet. Es ist gefährlich, wenn wir die Haltung entwickeln, dass alles schon irgendwie funktioniert. Die Klimabewegung z. B. übt politischen Druck aus, was gut ist. Man muss auf die Straße gehen, um etwas zu bewegen. Das politische System mitzugestalten, selbst ein Teil davon zu werden, das sollte selbstverständlich sein. Das bekommen wir nur durch gute oder bessere Schulen hin.“

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2021.
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