Susanne Keuchel 5. Februar 2021 Logo_Initiative_print.png

Vor­bild in Sachen Demokratie

Mit Ruhe und kor­rek­ter Sprache

Die Bilder der Stürmung des Kapitols haben jüngst weltweit bewegt und erschüttert. Dabei zeigt sich einmal erneut: Gesellschaft polarisiert und spaltet sich zunehmend – und das bei vielen aktuellen Gesellschaftsthemen wie Rechtspopulismus, Diskriminierung, der Umgang mit Corona oder eben in Trump-Gegner und -Befürworter.

Die gewalttätige Stürmung des Kapitols ist ein krimineller Akt gewesen, von einer überschaubaren Gruppe, die sich selbst als „Trump-Anhänger“ bezeichnete. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass darüber hinaus eine nicht unerhebliche Anzahl an Amerikanern Trump auch 2020 ihre Stimme gegeben hat. In einer der vielen Talk-Shows zu aktuellen Streitthemen und Geschehen äußerte sich Norbert Röttgen: „Nicht die Bekloppten und der Mob“, sondern die „Normalos“, die Trump und seinen Aggressionen ihre Stimme gegeben hätten, seien das Problem. Es stellt sich hier jedoch die Frage: Liegt das Problem nicht viel tiefer? Nämlich, dass ein Teil der Bevölkerung, der sich postfaktischen Zuständen ohnmächtig ausgeliefert sieht – sei es die Leugnung von Wahlergebnissen in den USA oder die Existenz des Coronavirus – bei den eigenen Abwehrmechanismen zunehmend selbst in Versuchung gerät, demokratische Grundprinzipien zu übertreten. Dürfen beispielsweise Wähler, die innerhalb einer demokratisch legitimierten Wahl, einem Kandidaten ihre Stimme gegeben haben, als Problem von der Politik bezeichnet werden?

Angela Merkel hat dies an anderer Stelle deutlich gemacht, als sie die Sperrung – wohlgemerkt nicht die Löschung zu gewalttätigen Aufrufen – des Twitter-Kontos von US-Präsident Donald Trump kritisierte. In das Grundrecht auf Meinungsfreiheit könne nur eingegriffen werden „innerhalb des Rahmens, den der Gesetzgeber definiert, nicht nach dem Beschluss der Unternehmensführung von Social-Media-Plattformen“.

Ein anderes Beispiel für Grenzüberschreitungen war die Aufforderung eines Mitglieds des Ethikrates der Bundesregierung, Impfskeptiker sollten im Infektionsfall auf Intensivbett und Beatmungsgerät verzichten. Ein demokratisches Grundprinzip ist es jedoch, jedes Leben als wertvoll zu erachten und zu erhalten. Dies gilt für den Corona-Impfgegner bis hin zum schweren Straftäter. Entsprechend entsetzt zeigte sich auch der damalige Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Uwe Janssens, und stellte in einem Interview klar: „Niemand wird aus politischen Gründen abgewiesen.“

Natürlich ist es richtig, wichtig und notwendig, sich zur Wahrung der Demokratie gegen demokratie-gefährdende Meinungen und menschenverachtende Aussagen zu stellen. Es ist dabei aber genauso wichtig, bei der Verteidigung demokratischer Prinzipien selbst die demokratischen Spielregeln pflichtbewusst einzuhalten, auch wenn die Gegenpartei dies nicht tut und dadurch provoziert und Grenzen – hier auch sprachliche Grenzen – überschreitet. Solche sprachlichen Grenzüberschreitungen im Zuge von Skandalisierung und Polarisierung finden sich zunehmend auch in der Medienberichterstattung, wenn von „Corona-Leugnern“, „Trump-Mob“ oder „Gender-Wahnsinn“ gesprochen wird.

Mit solchen Polarisierungen werden Lagerbildungen gestärkt, eine Vielzahl an Bürgern mit durchaus differenzierten Meinungsbildern in Lager gedrängt, deren Bündnis sie ohne solche Polarisierung möglicherweise nicht gesucht hätten. Jeder Bürger hat in einer Demokratie das Recht auf seine individuelle und differenzierte Meinung, ohne in Schwarz-Weiß-Schubladen einsortiert zu werden.

Je ruhiger und sprachlich korrekter, im Einklang mit demokratischen Werten, der Widerstand gegen Fake-News, Populismus oder Diskriminierung geführt wird, desto stärker wird Demokratie erfahrbar. Erklärtes Ziel sollte es sein, Bürger in „Grauzonen“ nicht an ein „Lager“ zu verlieren, das sich von demokratischen Werten entfernt.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2021.

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