Jakob Johannes Koch 8. Dezember 2020 Logo_Initiative_print.png

Könige des Wissens

Ein Fak­ten­check zu Krip­pen­fi­gu­ren und Sternsingern 

Der Weihnachtsfrieden ist gefährdet. Nicht nur wegen Corona, sondern auch wegen Ärgers um die Heiligen Drei Könige. Zwei Vorwürfe liegen an: Es sei Rassismus, den dunkelhäutigen König als Krippenfigur typisierend darzustellen. Und es sei rassistisch, wenn hellhäutige Sternsinger mit dunkler Schminke die Person of Color des Krippenpersonals mimen. Was ist dran an dieser Kritik?

Weihnachtskrippen und mit ihnen auch die Darstellung der biblischen „Sterndeuter aus dem Osten“, die dem Jesuskind huldigen – später „Heilige Drei Könige“ und „Drei Weise“ genannt –, gehören zu den frühen Zeugnissen christlicher Bildkunst: Bereits im Jahr 500 finden wir diese Darstellungen und seit dem 8. Jahrhundert wird einer der Könige dunkelhäutig gezeigt. Zuerst war das Caspar, später Melchior. Diese Ikonografie reicht weit vor die europäische Kolonialisierung Afrikas in eine Zeit, als das Christentum schon lange Staatsreligion in Äthiopien und Eritrea war.

Wenn also Weihnachtskrippen mit der Figur des Caspar oder Melchior einen Afrikaner (sic!) zeigen, dann hat das nichts mit kulturhegemonialer Vereinnahmung zu tun, sondern mit universaler Menschenwürde: Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und aus unterschiedlichen Ethnien sind gleichwertige Akteure und Adressaten von Jesu Frohbotschaft – bedarf diese ikonografische Aussage wirklich einer Revision?

Es gehört zum Wesen jeder Ikonografie, dass sie Chiffren – nicht Klischees! – für ihre Wiedererkennbarkeit verwendet: Josef, der Pflegevater des Jesuskindes, ist meist ein Greis, obwohl erstheiratende Männer damals jung waren. Das Jesuskind der Weihnachtskrippe ist selten ein realistisches Neugeborenes, sondern meist ein ein- bis dreijähriges Kind usw. Denn Sakralkunst ist kein dokumentarisches, sondern ein theologisches Medium. Welche Lippen- oder Nasenform ein Künstler der Figur des Melchior verliehen hat, ist so lange unerheblich, als die Darstellung nicht objektiv diskriminierend ist, und Letzteres festzustellen, ist ikonologisch keineswegs immer unfehlbar.

Vor dem Hintergrund eigener Verfehlung gegen die Kunstfreiheit hat sich die Kirche dazu bekannt, dass sie die kulturelle Diversität gemäß der „Eigenart und Lebensbedingungen der Völker“ respektiert (Zweites Vatikanum, 1963). In diesem Sinne haben z. B. viele afrikanische Künstlerinnen und Künstler Weihnachtskrippen geschaffen, in denen alle Figuren sehr dunkelfarbig sind und Kleidung wie Haartracht afrikanischer Tradition tragen. Dies bedeutet keinen Rassismus gegenüber den indigenen Wurzeln des jüdischen Israels, sondern es bedeutet nur eines: die Kunstfreiheit der Anverwandlung.

Was aber, wenn die Rolle des Melchior von dunkel geschminkten Hellhäutigen gespielt wird? Obwohl die jahrhundertealte Tradition des Sternsingens ein weithin beliebtes Crossover von Performance, „Sozialer Plastik“ nach Joseph Beuys, Charity und Brauchtumspflege ist, bekommt sie unversehens Gegenwind: Die Melchior-Performance sei gleichzusetzen mit rassistischem „Blackfacing“ aus Spottkomödien, so der Vorwurf. Aber anders als das verhöhnende Blackfacing oder als die niederländische Schreckfigur des „Zwarten Piet“ drückt die Melchior-Performance schon immer wertschätzende Anverwandlung aus, zumal sie eine Königswürde verkörpert. Motivisch ist jeder der drei Sterndeuter ein hoch angesehener „Weiser“, ein „König des Wissens“! Gegenläufige Missverständnisse sind vermeidbar, wenn diese Kontextualität als Fakt wahrgenommen wird.

Dass indes ausgerechnet Rechtspopulisten jetzt mit übler Gegenbeschimpfung der Kritikerinnen und Kritiker das Melchior-Motiv zu „retten“ vorgeben, bewirkt am Ende nichts anderes, als ein derzeit ohnehin fragiles Kulturgut zu kontaminieren. Menschen, die durch Intoleranz und Hass dem Evangelium zuwiderhandeln, haben kein Recht, über biblisch inspirierte Darstellungen mitzudiskutieren.

Was aber folgt nun für die Sternsingerinnen und -singer? „Man kann doch einfach schwarze Kinder an der Aktion beteiligen; Anmalen ist nicht nötig“, verlautet die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Diese sympathische Wortmeldung trägt Eulen nach Athen, weil People of Color schon lange ganz selbstverständlich an der Sternsingeraktion beteiligt sind. Sollen hingegen dort, wo sich keine People of Color zum Sternsingen melden, wirklich nur noch die „drei weißen heiligen Könige“ durch die Straßen ziehen? Soll Melchior in der Weihnachtskrippe ein irgendwie „neutrales“ Aussehen erhalten? Sollte man seine Figur zur Vermeidung von Stereotypen ganz aus der Krippe entfernen? In beflissener Konsequenz der aktuellen Vorwürfe müsste man solche Szenarien wohl gutheißen – aber wäre das nicht die unbeabsichtigte Restitution eines „Apartheidsystems im Kopf“ in Kunst, Kultur und Brauchtum? Das wäre tragisch und nachher hätte es natürlich niemand gewollt.

Gibt es eigentlich ein Recht der Dargestellten, darüber zu verfügen, ob und wie sie dargestellt werden möchten? Und wie verhält es sich, wenn – wie eben bei den Drei Königen – bereits stark typologisch überformte Individuen zur künstlerischen Darstellung gelangen? Zu dieser Frage hält die Geschichte bittere Lektionen bereit: Arbeiter und Bauern sahen sich durch vorgeblich dekadente künstlerische Porträts verunglimpft, Männer durch scheinbar weichliche, Frauen durch vermeintlich devote, „Helden“ durch angeblich „unheldische“. Dabei änderten sich die Wertungen natürlich ständig – bestenfalls symbolpolitisch, schlimmstenfalls totalitär.

Andererseits, dass in Kunst und Kultur auch echte, nicht nur gefühlte Diskriminierungen vorkommen, ist leider Fakt. Dagegen gibt es das seit 1949 bestehende rechtsstaatliche Maßnahmenpaket, das der ausgewogenen Rechtsgüterabwägung zwischen Ehren-, Jugend- und Straftatenschutz inklusive Strafverfolgung von Volksverhetzung einerseits und Kunstfreiheit andererseits dient. Dieser bewährten Balance sollte weiterhin vertraut werden. Dürfen die Drei Könige in diesem Sinn friedliche Weihnachten erleben?

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.

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