Martin Lauterbach 4. November 2020 Logo_Initiative_print.png

Schwel­len sen­ken, Zugänge erleich­tern, Chan­cen schaffen

Zur Gestal­tung des Gemeinwesens

„Integration braucht bürgerschaftliches Engagement.“ Mit dem Satz dürfte man schwerlich eine Kontroverse auslösen. Verwundern dürfte es schon eher, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) das bürgerschaftliche Engagement von Zugewanderten fördert, ist es doch eher als Asylbehörde oder für sein gesetzliches Kerngeschäft im Bereich Integration – der Sprachförderung – bekannt.

Wieso also neben den gesetzlichen Pflichtaufgaben Tätigkeit im Bereich der gesellschaftlichen Integration? Und dort besonderes in der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements? Ist das überhaupt staatliche Aufgabe? Die Antwort darauf liefert ein Blick darauf, was bürgerschaftliches Engagement für Integration leisten kann. Die Initiative kulturelle Integration stellt in ihrem Positionspapier dazu fest: Bürgerschaftliches Engagement bildet „eine wichtige Säule für den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Stärkung der Demokratie“. Es „gilt sowohl als Motor als auch als Indikator für Integration und Teilhabe.“ Bürgerschaftliches Engagement ist – neben vielen anderen Dingen – Schule der Demokratie und Erfahrung der „Selbstwirksamkeit“ der Betroffenen. Bei der gemeinsamen Arbeit im Verein, der Initiative, dem Projekt vollzieht sich zudem oft ganz nebenbei, was als „interkulturelle Öffnung“ bezeichnet wird. Es entstehen Kontakte, informelle Netzwerke, die wirklich Zugänge zur Gesellschaft schaffen – dass Studien die Rolle dieser Netzwerke z. B. auch für den Arbeitsmarkterfolg belegen, sei nur nebenbei erwähnt. Dieses enorme Potenzial ist Grund genug, Zugewanderte für bürgerschaftliches Engagement zu gewinnen, Vereine und bereits Aktive darin zu unterstützen. All das ist sicher nichts, was staatlich verordnet oder durchgesetzt werden könnte, was aber sehr wohl auch im staatlichen Interesse liegt. Deswegen setzt das BAMF als ein bundesweiter Akteur – natürlich neben einer Vielzahl staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure – hier Akzente.

Dies gilt übrigens auch für die Begleitung des eigenen „gesetzlichen Kerngeschäfts“. Beispielhaft sei erwähnt: Das Modellprojekt „Start with a Friend – Verein(t)“ vermittelt Integrationskursteilnehmende in passende Vereine und schafft so gleichzeitig Gelegenheit, die erlernte Sprache zu nutzen und sich im Verein einzubringen. Ein schönes Beispiel, wie sich staatliches Programm und bürgerschaftliches Engagement in ihrer Wirksamkeit ergänzen.

Im Übrigen gibt es drei Dimensionen, wie das Bundesamt bürgerschaftliches Engagement von Zugewanderten unterstützt: Projekte, die direkt diesem Ziel dienen, der Bereich Qualifizierung und Professionalisierung sowie der inhaltliche Austausch mit dem BAMF. Gäbe es ein Motto, ein verbindendes Leitmotiv, wäre es in etwa: Schwellen senken, Zugänge erleichtern und dadurch Chancen schaffen.

Das genannte Leitmotiv zeigt sich vor allem am Beispiel von Migrantenorganisationen und neu gegründeten Vereinen. Die Schwellen des deutschen Vereins- und Zuwendungsrechts sind durchaus anspruchsvoll und können leicht als strukturelle Hürde wirken. Hier will das BAMF zumindest ein Stück weit Ausgleich schaffen. Dabei reichen unsere Angebote von der regionalen bis zur Bundesebene, von der neu gegründeten Initiative bis zur bundesweit tätigen Organisation: Das Bundesamt fördert Multiplikatorenschulungen insbesondere zu Vereins- und Projektmanagement und zur Öffentlichkeitsarbeit, die passgenau zusammengestellt werden können. Es versucht, gezielt neue Träger für das eigene Förderprogramm der „gemeinwesenorientierten Projekte“ zu gewinnen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort adressieren und ihrerseits Stärkung des ehrenamtlichen Engagements als ein Hauptziel verfolgen – ca. 270 laufende Projekte im Jahr 2020. Die neuen Träger werden ebenfalls intensiv mit Schulungen begleitet. Wem die Infrastruktur fehlt, selbst als Projektträger tätig zu werden, dem erleichtern die „Houses of Resources“ (HoR), eine Idee des Forums der Kulturen in Stuttgart, den Zugang: Dort finden vor allem neue Initiativen Infrastruktur wie Büro- und Besprechungsräume, Veranstaltungsequipment etc., Beratung und Begleitung sowie eine niedrigschwellige Möglichkeit, „Mikroprojekte“ zu beantragen, und so die ersten Schritte in der Mittelakquise zu gehen. Das Bundesamt fördert derzeit elf dieser Häuser, weitere werden folgen. Richten sich die HoR an Initiativen im Aufbau, stehen am „anderen Ende der Skala“ bundesweit tätige Migrantenorganisationen: Diese haben die Möglichkeit, Strukturförderung zu erhalten, um ihre Sichtbarkeit und Effektivität im politischen Prozess zu erhöhen, ihre Infrastruktur weiter zu professionalisieren und zu festigen. Zehn Organisationen profitieren derzeit davon – das Bundesamt ist übrigens der einzige bundesweite Akteur, der Strukturaufbau in dieser Art fördert. „VaMOs – die Verbandsakademie für Migrantenorganisationen“ ergänzt die regionalen Qualifizierungsangebote durch Coaching, Beratung und Vernetzung für bundesweite tätige Organisationen und rundet so das Schulungsangebot des BAMF ab. Eine breite Palette also zur Qualifizierung und Förderung eigener Projekte. Das Bundesamt nutzt aber auch die inhaltliche Expertise der Organisationen und Initiativen: Über das „Design“ seiner Förderprogramme entscheidet es nicht am sprichwörtlichen „grünen Tisch“, sondern lässt sich von einem breit aufgestellten Expertenzirkel beraten, der auch und gerade die Stimmen von Migrantenorganisationen und engagierten Ehrenamtlichen zu Gehör bringt.

Es gäbe noch vieles zu berichten: von Initiativen zu Integration auf Distanz – Stichwort Corona und Digitalisierung –, von dem Programm „Integration durch Sport“, vom „Modellvorhaben Moscheen für Integration“, der Hinweis auf bamf.de muss an dieser Stelle genügen, sollte jemand neugierig geworden sein.

Zum Schluss noch einmal das Leitmotiv: Wenn wir Schwellen senken und Zugänge erleichtern, ergeben sich daraus Chancen – nicht nur für die einzelnen Gruppen, sondern für die Gestaltung des Gemeinwesens insgesamt.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2020.

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