Lorenz Overbeck 4. November 2020 Logo_Initiative_print.png

Gemein­sam erle­ben und performen

Zur Ent­wick­lung der Enga­ge­ment­struk­tu­ren im Musikbereich

Vierzehn Millionen Menschen musizieren in ihrer Freizeit. Die Chöre, Orchester und Musikvereine sind Orte der Teilhabe, Mitbestimmung und Integration und leisten insbesondere in ländlichen Räumen einen wichtigen kulturellen und gesellschaftlichen Beitrag. Die Vereine bieten Möglichkeiten zur Teilhabe und zur gesellschaftlichen Verständigung, leisten demnach auch einen wichtigen Beitrag zur Demokratiestärkung und wirken sich integrativ aus. Denn die Musik kann auch dort Brücken bauen, wo Sprachbarrieren bestehen. Außerdem leisten die Vereine einen wichtigen kulturellen Beitrag, der insbesondere in ländlichen Räumen Einfluss auf die Lebensqualität nimmt. Wolfgang Schneider bezeichnet im „Weißbuch Breitenkultur: Kulturpolitische Kartografie eines gesellschaftlichen Phänomens am Beispiel des Landes Niedersachsen“ die Kulturvereine auf dem Land als Orte des Zusammenhalts, der Bildung und der Geselligkeit. Deswegen sagt Schneider auch klipp und klar, dass sich Kulturpolitik nicht nur um die großen Museen und Theater, sondern mehr um die Breitenkultur kümmern müsste. Denn Vereine müssen gestärkt und zukunftsfest gemacht werden – umso mehr, da Ensembles heute mit vielen bürokratischen Aufgaben konfrontiert und aktuell durch Corona existenziell bedroht sind.

Musik gehört zu den attraktivsten Formen des Ehrenamts und verbindet das gemeinschaftliche Erleben mit der Performance. Dabei ändern sich die Formen, die Werke werden internationaler und es wird zunehmend auch außerhalb einer Vereinsstruktur gearbeitet. Einige Ensembles experimentieren auch mit Teilzeit-Anwesenheit. Parallel dazu gibt es viele ehrgeizige Ensembles, die schwierige Werke in semiprofessioneller Qualität erarbeiten.

Im Bereich Kultur und Musik sind gemäß der Sonderauswertung „Kultur und Musik“ des Freiwilligensurvey 2014 soziale Gruppenunterschiede auszumachen. Demnach sind dort Engagierte höher gebildet, wohingegen Personen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen eher ausgeschlossen sind bzw. keinen Zugang finden. Von allen Kulturengagierten haben 48 Prozent Abitur, aber nur 11 Prozent einen Volks- oder Hauptschulabschluss. Bereits unter den jungen Kultur-Engagierten bis 21 Jahre besuchen mit 63 Prozent mehr als die Hälfte das Gymnasium. Kulturengagement ist zudem eher weiblich. Von allen Kultur-Engagierten sind 53 Prozent Frauen und 47 Prozent Männer. Leitungs- bzw. Vorstandsfunktionen werden hingegen vorrangig von Männern übernommen. Interessant ist auch, dass sich vor allem Menschen zwischen 45 und 49 sowie 50 und 54 Jahren engagieren – je 11 Prozent. Jüngere Altersgruppen sind dagegen deutlich seltener vertreten, z. B. sind nur 6 Prozent 25 bis 29 oder 30 bis 34 Jahre alt. Im Vergleich hierzu sind in allen Engagementbereichen in Deutschland jüngere Altersgruppen stärker vertreten. Folglich ist im Bereich Kultur und Musik eine Tendenz zur Überalterung zu erkennen, die für andere Bereiche etwas weniger typisch ist.

Die Vereine müssen also überlegen, wie sie neue Zielgruppen erschließen können und insbesondere junge Menschen besser ansprechen können. Letztere beurteilen die Mitsprachemöglichkeiten etwas schlechter als ältere Altersgruppen. Neue in einer Organisation wünschen meist Orientierung und Begleitung. Insbesondere die Verantwortungsübernahme einer ehrenamtlichen Leitungsfunktion ist oftmals mit vielen Fragen und Vorbehalten verbunden. Um dem Rechnung zu tragen, können z. B. Engagementpatenschaften eingerichtet werden, bei denen Verantwortung nach und nach übergeben und der Dialog gestärkt wird. Auch kann die Vorstandsarbeit auf mehr Personen verteilt werden. Dafür benötigen die Musikvereine allerdings mehr Organisationsentwicklungskompetenz. Für freiwilliges Engagement von jungen Menschen ist zudem die Anerkennungskultur besonders wichtig, in der ihnen Verantwortung übertragen wird und sie ernst genommen werden. Darüber hinaus fordern ganz besonders junge Kultur-Engagierte Verbesserungsbedarf bei der Anerkennung ihres Engagements in Form von Zertifikaten oder ähnlichen Nachweisen.

Eine bisher sehr unterrepräsentierte Gruppe stellen auch Menschen mit Migrationshintergrund dar, wobei es sich hier nachweislich um ein Angebots-, nicht um ein Nachfrageproblem handelt.

Um mehr Nachwuchs für das Ehrenamt zu gewinnen, hat der Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO) gemeinsam mit der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung eine sehr stark nachgefragte Weiterbildung zu „VereinspilotInnen“ entwickelt, die sich an aktuelle und angehende Vorstände von Musikvereinen richtet. An vier Tagen vermitteln Expertinnen und Experten Themen wie z. B. Vereins- und Veranstaltungsrecht, Nachwuchsstrategien und Fundraising. Neben den Präsenzterminen an der Bundesakademie erhalten die Teilnehmenden Mustervereinssatzungen, -verträge und -formulare. Speziell zu diesem Zweck entwickelte Onlineseminare können immer wieder angeschaut und genutzt werden. Der BMCO wird die Erfahrungen dieses Erfolgsmodells in die Arbeit der neu errichteten Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt einbringen, in der er als einziger kultureller Akteur im Stiftungsrat vertreten ist.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2020.

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