David Schnell & Ludwig Greven 7. September 2020 Logo_Initiative_print.png

„Dem Rechts­ruck entgegenwirken“

David Schnell im Gespräch

Ludwig Greven spricht mit dem im Westen geborenen Leipziger Maler David Schnell über das künstlerische Zusammenwachsen von Ost und West und seine Unterstützung von Initiativen gegen Rassismus und die AfD in Sachsen.

Ludwig Greven: Wie sind Sie zur Malerei gekommen?
David Schnell: Ich war als Jugendlicher in einer Subkulturszene in Köln und im Umland meiner Heimatstadt Bergisch Gladbach aktiv. Wir haben Veranstaltungen und Konzerte gemacht, dafür mussten Flyer gestaltet werden und T-Shirts. Darüber hat sich mein Interesse an Kunst und Gestaltung entwickelt. Außerdem war meine Mutter Kunstlehrerin, sie hat mir ein Bewusstsein für Kunst mitgegeben, allerdings auf andere Weise.

Weshalb sind Sie zum Studium nach Leipzig gegangen?
Da hat ein wenig der Zufall mitgespielt. Eigentlich hatte ich mich in Düsseldorf beworben. Da wurde ich aber nicht genommen. Zufällig erschien damals ein Artikel im Stern über alle Kunstakademien in Deutschland, mit ihrem jeweiligen Profil. Bei Leipzig stand, dass sie eine figürliche Ausrichtung in der Malerei hat, und dass die druckgrafischen Werkstätten hier eine große Tradition haben. Das war mein Steckenpferd, ich hatte mir eine eigene kleine Radierwerkstatt eingerichtet. Deshalb habe ich mich dafür entschieden. Zum Glück klappte es.

Sie sind im Rheinland aufgewachsen und leben nun seit 1995, als Sie 24 waren, in Leipzig. Wo ist Ihre Heimat?
Ich scheue mich davor, diesen Begriff zu benutzen, weil ich das gar nicht so festmachen kann. Ich fühle mich schon in Leipzig zu Hause und schätze die Stadt sehr. Allerdings bin ich auch noch regelmäßig in Bergisch Gladbach und Köln, habe noch viele Freunde dort und fühle mich auch da heimisch. 2013 war ich ein Jahr als Stipendiat in der Villa Massimo in Rom. Die Stadt hat mich so beeindruckt, dass ich nach drei Tagen kaum noch an Leipzig gedacht habe. Mich kann man überallhin verpflanzen.

Haben Ost und West für Sie noch eine Bedeutung?
Eigentlich überhaupt nicht. Mit Leipzig verbindet mich, dass ich hier die Phase des Aufbruchs nach der Friedlichen Revolution und der Einheit erlebt habe. Eine sehr starke Veränderung und insgesamt bis heute positive Entwicklung. Dass sich etwas völlig neu ordnet, kannte ich im Westen nicht. Ich habe die starke Abwanderung erlebt und Leerstände, und dann auch wieder die Zuwanderung. Für die Menschen, die schon in der DDR gelebt hatten, hat das zum Teil erhebliche Unsicherheit und Verunsicherung mit sich gebracht. Einiges finde ich eher nachteilig, beispielsweise, dass so viele alte Industriebauten abgerissen wurden. Als ein an Architektur interessierter Künstler, der gerne Freiräume hat, habe ich mir manchmal gedacht: Warum haben sie diese tollen Gebäude nicht stehen lassen?

Hat Sie diese starke Veränderung, sozial und im Stadtbild, inspiriert?
Das hat mich stark beeinflusst. Allerdings konnte man in den 1990er Jahren in der Generation meiner Professoren, die zum allergrößten Teil schon vor der Wende unterrichtet hatten, eine gewisse Frustration und Resignation bemerken, weil ihnen der Anschluss an die West-Kunstszene nicht so richtig gelang. Gerade die figurative Malerei, die mich nach Leipzig gezogen hat, war zu der Zeit nicht angesagt. Es gab kein Interesse an Kunst aus den neuen Bundesländern. Da hat keiner so richtig hingeguckt.

Gab es eine spezifische DDR-Malweise?
Viele verbinden mit der Malerei der DDR den sozialistischen Realismus. Es gab die »alte« Leipziger Schule, die teilweise auf sehr facettenreiche Art und Weise dieser Tradition noch verpflichtet war. Viele Künstler in der DDR waren auf staatliche Aufträge angewiesen. Insbesondere für die Professoren der Hochschule war es nicht einfach, unter staatlicher Beobachtung zu lehren. Allerdings gab es schon damals Bestrebungen unter Lehrenden, wie z. B. Bernhard Heisig, die Hochschule nach ihren Möglichkeiten als Freiraum zu gestalten und den Studierenden den Rücken freizuhalten. Auf der anderen Seite gab es auch schon in den 1980er Jahren eine pulsierende subkulturelle Kunstszene, die neue Wege beschritt und die auch genau wusste, was im Westen los war. Sie waren daran stark interessiert, versuchten aber auf eigenen Wegen die Malerei bzw. die bildende Kunst zu öffnen.

Nach der Einheit hatten sie die Freiheit.
Für mich und meine Kommilitonen tat sich ein riesiger Freiraum auf. Wir haben es genossen, diese Leere wahrzunehmen. Man merkte in der Stadt und auch an der Hochschule eine starke Desorientierung. Wo sollte es hingehen mit der Malerei, da das Figurative durch den Nimbus des sozialistischen Realismus nicht mehr gut angesehen war. Deshalb wurde mehr auf Fotografie und neue Medien gesetzt. Von manchen Studenten wurde ich belächelt, weil ich dennoch das figürliche Malen lernte. Das war manchmal nicht einfach. Aber es bot Gelegenheit, ja fast den Zwang, daraus etwas Neues zu entwickeln. Obwohl ich meine Professoren sehr geschätzt habe, gab es nicht die großen Vorbilder, an denen man sich abarbeiten musste, keinen Gerhard Richter oder Markus Lüpertz. Es war ein ganz anderer Dialog, fast auf einer Ebene. Man hat gemeinsam beraten, wie sich die Malerei weiter entwickeln kann.

Eine große Chance.
Ja, es war ein gemeinsamer Lernprozess.

Hat sich darauf die Neue Leipziger Schule entwickelt?
Das waren zwei Jahrgänge. Wir waren sehr dicht beieinander. Wir haben immer geschaut, was der oder die andere macht, haben uns gegenseitig im Atelier besucht und viel über die jeweilige Malerei geredet. Wir haben sehr intensiv gearbeitet, oft bis in die Nacht hinein. Wir haben uns alle zu Beginn des Studiums keine Gedanken darüber gemacht, wie wir später damit Geld verdienen. Dadurch dass wir ständig Aufgaben in den verschiedenen Richtungen und Techniken hatten, hatten wir selten das Gefühl, ins Schwimmen zu kommen. Als das Studium zu Ende ging, haben wir beschlossen, wir müssen etwas gemeinsam machen, damit es weitergeht, weil wir uns nicht darauf verlassen wollten, dass irgendein Galerist kam. Und die Situation war damals in Leipzig auch noch nicht so, dass die hier Schlange standen. Deshalb haben wir unsere eigene Produzentengalerie in Berlin gegründet.

Ein ungewöhnlicher Schritt.
Einer von uns hatte zufällig in Berlin einen freien Raum gesehen, der zu einem günstigen Preis zu mieten war. Die Idee war, dass wir weiter eine Aufgabe, ein Ziel hatten. Wir wussten, dann und dann ist eine Ausstellung. Also mussten wir dafür malen, die Bilder dorthin transportieren und hängen. Und wir waren nicht allein, wir blieben für eine Weile in dem Zusammenhang der Hochschule. Wir wollten nicht unbedingt als Gruppe auftreten, aber wir hatten den Vorteil, dass wir nicht einzeln wahrgenommen wurden, sondern als eine Reihe von Leipziger Malern.

Haben Sie sich den Namen Neue Leipziger Schule selbst gegeben?
Nein, er kam von außen und ist uns bis heute nicht so sympathisch, weil wir sehr unterschiedlich arbeiten. Das Einzige, was uns verbindet, ist, dass wir alle aus der figürlichen Malerei kommen. Jeder hat eine gewisse Abstraktion entwickelt, aber es ist doch ein mehr gegenständliches Malen. Der Raum, die Figur, der Gegenstand ist zumindest in Fragmenten zu erkennen.

Also passt der gemeinsame Name doch irgendwie?
Wir haben uns gegen ihn gewehrt. Aber es hat uns natürlich geholfen, dass es für uns als Gruppierung und Phänomen einen Begriff gab. Dadurch war das Interesse auch international größer.

Kamen von den Mitstudenten viele aus dem Westen, oder waren es überwiegend Ostdeutsche?
Ich schätze, es war 50 zu 50.

Sind Sie durch das gemeinsame Studieren und Arbeiten und die Galerie zusammengewachsen, als Vorbild auch für andere gesellschaftliche Bereiche?
Absolut. Wir waren alle in der gleichen Situation. Wir wussten nicht, wo es hingeht und wie wir mit unserer Kunst Geld verdienen konnten. Die Akademie war ein geschützter Raum. Was wir dort geschaffen haben, war nicht unbedingt gesellschaftlich relevant oder gesellschaftskritisch. Auch wenn später andere Einflüsse dazu kamen, waren wir keine politische Gruppe. Wir haben, jeder für sich, an etwas Abstraktem gearbeitet. Da machte es keinen Unterschied, wo man herkam.

Ist die Kulturszene Ost und West heute eins, oder merkt man da noch Unterschiede?
Wir Maler aus dieser Zeit können nicht abschütteln, wo wir gelernt haben und wo unsere Malerei herkommt. Die Frage ist, ob man das überhaupt abschütteln will.

Sind Sie stolz darauf, ein Leipziger Maler zu sein?
Ich glaube schon, dass das etwas Besonderes ist. Es war eine besondere Zeit und ein besonderer Ort, und dadurch ein spezielles Zusammentreffen von Leuten. Ich sehe das als Qualität. Das hatte allerdings unterschiedliche Phasen. Am Anfang haben wir uns darüber gar keine Gedanken gemacht. Dann kam der Erfolg, und alle haben uns beäugt, warum ist das Interesse an diesen Leipzigern so groß? Das ist doch alles nicht gesellschaftlich relevant, nicht fortschrittlich, sondern rückwärtsgewandt, lautete die Kritik. Da kam man schon ins Grübeln, stimmt das vielleicht, und man hat versucht, es ein wenig abzuschütteln. Jetzt aber, wo wir eine gewisse Distanz dazu haben und jeder seinen eigenen Weg geht und wir uns seltener treffen, sehe ich es nicht als Manko, sondern als Auszeichnung, zu dieser Leipziger Schule zu gehören.

Sie malen auf traditioneller Basis sehr modern, aber leben in Sachsen, wo es eine mächtige, sehr rückwärtsgewandte Bewegung gibt.
Damit setze ich mich gezwungenermaßen auseinander, weil die AfD hier so stark ist. Ein guter Freund von mir, der Maler Christoph Ruckhäberle, ist Professor an der Hochschule hier in Leipzig. Die AfD hat mal die Anfrage gestellt, wie viele Dozenten und Studierende mit Migrationshintergrund es da gibt. Da überlegt man sich, wo endet das, wenn sie in der Kulturpolitik und überhaupt in der Politik mitredet. Das bereitet allen Künstlerinnen und Künstlern hier große Sorge. Christoph Ruckhäberle, ich und andere haben uns deshalb zusammengetan und überlegt, wie man das aufhalten kann. Besonders prekär ist die Lage im ländlichen Raum und in den Kleinstädten. Wir haben solche Orte, die dortigen Jugendgruppen und kulturellen Initiativen besucht, die versuchen, dem Rechtsruck entgegenzuwirken, kleine Clubs und Vereine, die z. B. Konzerte veranstalten, und haben einen Förderverein »Land in Sicht« gegründet, um sie zu unterstützen, gegen Rassismus und für Demokratie. Wir animieren besonders Kunstschaffende und Leute aus dem Kulturbetrieb, beizutreten und Geld zu spenden. Denn solche Initiativen haben nicht nur eine politische Funktion. Sie bilden auch Wurzeln für kulturelles Schaffen. Ich bin ja selbst mit solchen Gruppen aufgewachsen. Das bietet viel künstlerisches Potenzial, um den Horizont zu öffnen. Vielleicht auch wie bei mir in die künstlerische Freiberuflichkeit.

Vielen Dank.

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.

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