Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge: Trotzdem
Eine die Grundrechte einschränkende Maßnahme muss vier Kriterien erfüllen: Sie muss einen legitimen Zweck verfolgen, geeignet, erforderlich und angemessen sein. So erläutern es die Juristen Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge in dem Buch „Trotzdem“. Als ich diese Zeilen lese, gehen in Berlin Anfang August mehrere Tausend Menschen zur sogenannten „Versammlung der Freiheit“ auf die Straße. Erschreckende Bilder von dichtgedrängten Menschen ohne Maske kursieren in den Medien – mitten in einer weltweiten Pandemie. Sie demonstrieren gegen die durch die Bundesregierung verhängten Corona-Maßnahmen; fühlen sich in ihren Grundrechten zu stark eingeschränkt.
Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation das Coronavirus Sars-CoV-2 zu einer weltweiten Pandemie. Wenige Tage darauf folgt in Deutschland der bundesweite Lockdown – das Virus hält uns alle in Atem.
Ende März führen Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge zwei Gespräche über einen Instant-Messenger, die kurz darauf in dem kleinen Büchlein „Trotzdem“ veröffentlicht werden. In ihrem digitalen Dialog geht es, ausgelöst durch die Coronakrise, um die Geschichte der Grundrechte, die Idee der Gewaltenteilung und darüber, was man in solch seltsamen Zeiten macht – und vielmehr, was sie mit der Gesellschaft und unserer Demokratie machen.
Die Krise, so sagt von Schirach, ist die Stunde der Pragmatiker und bezieht sich dabei beispielhaft auf ein verheerendes Erdbeben Ende des 18. Jahrhunderts in Lissabon. Die Naturkatastrophe löst – damals wie heute – einen Wendepunkt aus. Es ist ein Dialog über Distanz, des gleichzeitigen Zusammenrückens sowie über das Gefühl, zwischen zwei Stühlen zu sitzen.
Wir leben in einer behüteten Welt, unsere Demokratie ist scheinbar gefestigt, doch die Krise brachte dieses Selbstverständnis ins Wanken. Wie viel Einschränkungen verkraftet eine demokratische Gesellschaft und wie lange?
Kristin Braband
Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge. Trotzdem. München 2020