Hans Jessen 6. Juli 2020 Logo_Initiative_print.png

Ver­schwö­rung, Zer­stö­rung, Verstörung?

Ein neues Rezo-Video und die Reak­tion eta­blier­ter Medien

Vor gut einem Jahr veröffentlichte der YouTuber Rezo ein einstündiges Video mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“. Dieses Video markierte den Eintritt von Online-Veröffentlichungen in den Kreis ernst zu nehmender Medien im politischen Diskurs.

Zum einen wegen seiner Machart – die mit bekennender Subjektivität vorgetragenen Kritikpunkte wurden ergänzt um einen Fundus von Quellenangaben – zum zweiten wegen seiner Rezeption: Mehr als 17 Millionen Menschen haben sich dieses Video angeschaut. Eine Reichweite, die keine Kategorisierung als „Internet-Blase“ mehr erlaubte. Das Netz hatte sich quantitativ als Massenmedium neuen Typs etabliert.

Die Unionsparteien als Hauptadressat der Kritik zeigten sich über Wochen unfähig zur adäquaten Reaktion. Ein „Gegenvideo“ der damaligen CDU-Nachwuchshoffnung Philipp Amthor wurde zwar produziert – verblieb dann aber doch im parteieigenen Giftschrank. Kolportiert wurde allein der um Lockerheit bemühte Anfangssatz Amthors: „Hey Rezo, du alter Zerstörer…“

Die Fragen damals waren:

  • Würde sich ein solcher „Scoop“ wiederholen lassen?
  • Wer würde dann im Zentrum der Kritik stehen?
  • Wie würde diesmal die Reaktion aussehen?

Die Fragen lassen sich jetzt beantworten. Am 31. Mai 2020 erschien „Die Zerstörung der Presse“. In Titel und Machart bewusst an „Die Zerstörung der CDU“ anknüpfend. Wiederum eine Stunde Dauer, wiederum in subjektiver Emphase vorgetragen, wiederum eine ellenlange Quellenliste.

Die Klickzahlen reichen bei Weitem nicht an die des Vorjahres heran. Drei Millionen sind ziemlich gut für ein YouTube-Video. Im Vergleich zu 17 Millionen aber wenig. Was gewiss auch daran liegt, dass diesmal nicht die klassischen Medien durch ausführliche Berichterstattung für zusätzliche Aufmerksamkeit sorgten.

Aber inhaltlich, dies als vorweggenommene Wertung, ist das neue Video – auch wegen der Reaktionen – vielschichtiger, gehaltvoller und damit wichtiger als sein Vorgänger.

Rezo bringt ein in der Corona-Krise offenbar werdendes Phänomen in Verbindung mit Kritik an traditionellen Medien.

Seine These: „Verschwörungstheoretische“ Behauptungen über vermeintliche Drahtzieher und deren Ziele würden auch deshalb verfangen, weil die Glaubwürdigkeit traditioneller Medien beschädigt sei – und von diesen selbst beschädigt werde.

„Die Zerstörung der Presse“, dies erklärt Rezo in der ersten Minute, bedeute in diesem Zusammenhang eine Selbstzerstörung etablierter Medien – der er aufklärerisch entgegenwirken wolle.

Im ersten Schritt der kritischen Annäherung nennt er zahlreiche Beispiele für die Arbeitsweise der sogenannten „Regenbogenpresse“. Geschichten aus der Welt der Reichen und angeblich Schönen – oft genug reine Erfindungen. Interviews mit Stars und Prominenten, die nie geführt wurden. Bilder, die per Photoshop wahrheitswidrig konstruiert
werden. Diese Fantasieprodukte erreichen Woche für Woche neun Millionen Menschen in Deutschland. Ihr Wahrheitsgehalt nahe null ist bekannt – das schädigt, so die These, die Glaubwürdigkeit von Presseberichterstattung generell.

In einem weiteren Schritt bringt Rezo Beispiele für die Arbeitsweise von „Boulevardmedien“ – allen voran BILD, deren Machern er Skrupellosigkeit und Doppelmoral vorwirft: Etwa, wenn über private Lebensverhältnisse von Prominenten berichtet wird, der Chefredakteur aber die Diskussion seines Gehalts als Risikofaktor für die eigene Familie ansieht. Auch solche ungleichen Maßstäbe würden die Glaubwürdigkeit etablierter Medien schwächen.

Im Aufmerksamkeitszentrum allerdings steht die Kritik an Zeitungen, die zu den Bastionen des seriösen deutschen Journalismus gerechnet werden. Allen voran die FAZ. Rezos Arbeitsansatz: Er habe die Berichterstattung über ihn selbst untersucht im Hinblick auf sachliche falsche Angaben. Ergebnis: 67 Prozent der FAZ-Artikel enthielten nachweisbar falsche Angaben. Ein verheerender Befund – mit entsprechend heftiger Reaktion.

Anders als die sprachlose CDU vor einem Jahr antwortete die FAZ mit den Mitteln des YouTubers: ein halbstündiges Video, in dem ein Redakteur Rezos empirische Methode sowie seine Aussagen sehr detailliert unter die Lupe nahm und zu dekonstruieren versuchte. Im Resultat stellt die FAZ fest: Rezo betreibe selbst das, was er anderen Medien vorwerfe: Manipulation durch falsche bzw. aus dem Zusammenhang gerissene Zitate. Leugnung von Aussagen, die aber durch Tonaufnahmen dokumentiert seien. Der Titel eines parallel zum Video entstandenen Textes lautet: „Die Verhöhnung der Presse“.

Die FAZ-Recherche – wie auch die der ebenfalls von Rezo kritisierten Berliner Zeitung – belegt ziemlich eindeutig handwerkliche Fehler und sachlich falsche Behauptungen des YouTubers; jedenfalls, wenn man die Kriterien der FAZ akzeptiert, die im Zweifelsfall gern feststellt, es handele sich nicht um Tatsachenfeststellungen ihrer Autoren, sondern um – erlaubte – subjektive Wertungen.

Dennoch geht Rezo nicht als „Verlierer vom Platz“, sondern eigentlich recht erfolgreich. Jedenfalls, wenn man die Diskussion um Vertrauensverlust und Glaubwürdigkeit der etablierten Medien für wichtig hält.

Wenn Zentralinstitutionen der deutschen Presse nicht umhin können, sich detailliert mit der Kritik eines einzelnen YouTubers auseinanderzusetzen und darauf einzugehen, ist allein das ein wichtiger Moment medialer Selbstreflexion.

Dass die kritisierten Medien letztlich auch selbst Fehler in ihrer Rezo-Berichterstattung zugeben, ebenso. Dass sie, bei aller „Gegenoffensive“, bestätigen, grundsätzliche Kritikpunkte seien berechtigt, ist ein Drittes.

Für den Mediensoziologen Bernhard Pörksen leben wir – unter den Bedingungen allgegenwärtiger Online-Kommunikation – in einer „Redaktionsgesellschaft“. Nicht mehr Zeitungen und andere klassische Medien dominieren das Informationsgeschehen. Vielmehr könne jede(r) selbst zum medialen Akteur werden. „Wir müssen alle Journalisten sein“, definiert Pörksen, was heute unter „Medienkompetenz“ zu verstehen wäre.

Rezos neues Videos ist ein anspruchsvolles Beispiel, wie das funktionieren kann. Darüber hinaus liefert seine Kritik, wie die dadurch provozierte Reaktion großer Zeitungen, erstklassiges Material für detaillierte Vergleiche und Reflexion journalistischer Standards.

Der Spiegel konstatierte, dass „Zerstörungsvideo“ sei in Wahrheit eine „Liebeserklärung“ an den seriösen, aufklärerischen Journalismus. Bei dieser Bewertung mag Erleichterung mitspielen, dass das Hamburger Magazin in der Kritik ziemlich gut wegkam. Im Grunde aber stimmt sie.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.

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