Ursula Gaisa 5. Februar 2020 Logo_Initiative_print.png

„Ich möchte die euro­päi­sche Viel­falt wie­der zum Blü­hen bringen“

Zum 80. Geburts­tag von Klaus-Die­ter Leh­mann, Prä­si­dent des Goethe-Instituts

Der diplomierte Physiker und Mathematiker Professor Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann wurde 1940 in Breslau geboren. Seine Familie konnte 1945 mit dem letzten Zug aus der brennenden Stadt fliehen, bevor die Rote Armee den Ring um die Stadt zu schließen begann, Lokführer war sein Großvater. Er wuchs in der oberfränkischen Kleinstadt Rehau und später in Düsseldorf auf. Die Flüchtlinge landeten in einer gebildeten Familie, wo Lehmann seine Liebe zu den Büchern entdeckte: „Die Bücher waren mein Tor zur Welt.“ In Büchereien und Bibliotheken fand er Zuflucht, ohne introvertiert zu sein: „Was ich gesehen habe, habe ich auch immer weiter erzählt. Ich bin also ein typischer Vermittler, das bin ich immer geblieben.“

Über Menschen Heimat erleben

An die Flucht kann er sich erinnern, heimatlos fühlte er sich trotzdem nicht: „Ich bin zwar recht aktiv in deutsch-polnischen Beziehungen, habe auch wieder Kontakt zu Breslau aufgenommen, aber ich habe mich Zeit meines Lebens immer dort wohl gefühlt, wo meine Freunde und die Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, waren. Frankfurt war eine wichtige Heimat. Dort habe ich mein Handwerk gelernt. Und Berlin natürlich, was nicht so überraschend ist. Denn wenn Breslauer Karriere machen wollten, sind sie immer nach Berlin gegangen. Ich habe eben einen Umweg über Westdeutschland gemacht und bin jetzt wieder da, wo ich hin gehöre. Ich kokettiere immer damit, ich wäre ein Nomade, weil ich eben von Düsseldorf nach Mainz, nach Frankfurt, dann nach Berlin und wieder nach München gezogen bin, das hat Vorteile. Ich kann mich sehr schnell eingewöhnen. Ich bin immer ein neugieriger Mensch gewesen und hab es immer geschafft, mich in jedem neuen Umfeld wieder mit Menschen anzufreunden und zu verbinden. Das ist im Grunde mein Ansatz: über die Menschen Heimat zu erleben.“

Die Bücher waren zuerst da

In den 1970er Jahren arbeitete er am Mainzer Max-Planck-Institut, bevor er nach seinem Staatsexamen in Bibliothekswissenschaften ab 1973 Direktor an der Stadt- und Universitätsbibliothek in Frankfurt am Main wurde. „Ich war unsicher, ob meine Leidenschaft für Bücher in einen Brotberuf münden könnte. Quasi mein ganzer Freundeskreis studierte Naturwissenschaften und da ich in diesen Fächern gut war, schloss ich mich an. Dann änderte sich die Welt um mich herum: Die Bücher wurden plötzlich mit Computern produziert und vertrieben. Die Netzwerke waren entscheidend für die Vermittlung. So bin ich ganz bewusst aus meiner Wissenschaftlerkarriere heraus, studierte Bibliothekswissenschaft und habe dann meine naturwissenschaftliche Fähigkeit, analytisch zu denken, Instrumente wie Computer und Netze zu beherrschen, auf die Kultur angewandt. Das heißt, ich konnte meine persönliche Passion verbinden mit meinen naturwissenschaftlichem Kenntnissen. Ideal.“

1998 wurde er als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin berufen. In dieser Funktion verantwortete er insbesondere die Wiederherstellung der Museumsinsel. „Als ich nach Berlin kam, waren die West- und Ostbiografien nach dem Mauerfall gespalten. Es gab ausufernde Diskussionen über die Zusammenführung der Museumslandschaften. Man kam zu keinem Schluss. 1998 kam ich von außen und hatte die Chance, mit einem ganz anderen Blick einen Masterplan gemeinsam mit den Museen zu entwickeln. Ich machte deutlich, dass ein vereintes Berlin mit den Museen nicht im Kulturforum stattfinden würde, sondern in das alte Zentrum, in die Mitte, gehöre. Und das ist die Museumsinsel. Für mich war sie ein Symbol der Wiedervereinigung. Es war eine Gemeinschaftsleistung, die bis heute Richtschnur geblieben ist.“

Präsident des Goethe-Instituts

Die 1951 ins Leben gerufenen Goethe-Institute sollen die deutsche Sprache fördern und die kulturelle Zusammenarbeit im Ausland stärken. Derzeit verfügt es über 157 Institute in 98 Ländern, finanziell unterstützt wird das „Goethe“ vom Auswärtigen Amt. Klaus-Dieter Lehmann war seit 2002 Vizepräsident, 2008 folgte er Jutta Limbach auf die Position als Präsident des Goethe-Instituts. „Ich kam in der Krise! Schließungen und Goethe war für die Öffentlichkeit damals fast ein Synonym. Deshalb war eine Strukturreform unumgänglich. Für mich war die Globalisierung nur durch eine dezentrale Verantwortung gestaltbar. Die Zentrale wurde verkleinert, Regionen und dezentrale Verantwortungen wurden geschaffen, und wir haben budgetiert. Vorher hatten wir für jede Anwendung eine finanzielle Zweckbindung. Eine Welt, die so unterschiedlich und so fragmentiert ist, kann man nicht mit Kameralistik steuern. Wir müssen Budgets haben, die direkt vor Ort in den Regionen vergeben werden, sodass die Verantwortung in der Weise wahrgenommen wird, dass die Erwartung an uns und das was sie möglich machen, deckungsgleich gemacht werden kann. Das hat wieder zu vielen Akteuren geführt. Damit war das Goethe-Institut nicht mehr dieser große schwere Tanker, sondern es entstanden viele Begleitboote, die für sich in den Regionen gemeinsam arbeite konnten.“

Allein in Afrika entstanden dadurch ab 2008/2009 sechs neue Institute, Novosibirsk wurde gegründet, was den ganzen Raum nach Osten öffnete. „Und bei aller Digitalisierung, diese Begegnungsorte sind und bleiben sehr wichtig.“

Reiches Europa

Wichtig waren und sind ihm als Präsident des „Goethe“ auch Themen wie Dekolonisierung, aufkeimender Nationalismus in Europa und Nachhaltigkeit. „Ich werde mich dieses Jahr noch mal intensiv dafür einsetzen, dieser verhängnisvollen Entwicklung in den europäischen Ländern von gegenseitiger Abschottung, Rassismus und Antisemitismus mit intelligenten Allianzen entgegenzutreten. Wir müssen eine gemeinsame Verantwortung für den europäischen Kulturraum wahrnehmen. Es geht mir darum, diese europäische Vielfalt, die ja unser großer Vorteil ist, unser Potenzial, wieder zum Blühen zu bringen. Die europäische Kultur ist eigentlich eine Kultur der Migration. Wir wären in Europa nicht so lebendig und vielfältig, wenn wir diese Migrationsfähigkeit nicht hätten. Das ist mein großes Thema für 2020.“

Mit der Einrichtung deutsch-französischer Institute in Rio de Janeiro und Palermo wollen die Goethe-Institute Europa und seine unterschiedlichen Kulturen in der Welt darstellen und vermitteln, auch im Irak wird gerade eine deutsch-französische Zusammenarbeit vorbereitet.

Lehmann ist Träger des Kulturgroschens des Deutschen Kulturrates, und die Zusammenarbeit war und ist ihm immer wichtig gewesen: „Ich finde es erstaunlich, wie gut dieser Zusammenschluss funktioniert, ohne faule Kompromisse einzugehen. Es müssen im Grunde sehr viele unterschiedliche Interessen zusammengeführt werden, die aber eine gemeinsame Stimme haben, das schafft der Kulturrat. Themen wie die Deutschlandjahre, die Migrationsfragen, der Kolonialismus, darüber haben wir uns immer ausgetauscht und aktiv beteiligt.“

Am 29. Februar 2020 feiert Klaus-Dieter Lehmann seinen 80. Geburtstag. Das besondere Datum stört ihn nicht: Statt alle vier Jahre wird immer am 28. Februar und am 1. März gefeiert. „Ich sage immer, ich gehöre zum Sonnenjahr, weil der 29. Februar eine Korrektur zum Kalenderjahr macht. Etwas Besseres kann man sich gar nicht wünschen!“ Und an ehrenamtlicher Arbeit in diversen Stiftungen wird es ihm auch nach der Stabübergabe an die Ethnologin Carola Lentz im November 2020 sicher nicht fehlen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.

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