Frank Joung & Theresa Brüheim 29. Oktober 2019 Logo_Initiative_print.png

Von hal­ben und gan­zen „Kat­offln“

Ein Pod­cast über das Leben zwi­schen den kul­tu­rel­len Stühlen

Der Journalist Frank Joung wollte schon immer was mit seinem Migrationshintergrund machen. Mit dieser Idee im Hinterkopf setzte er 2016 den Podcast „Halbe Katoffl“ in die Tat um. Joung spricht zweimal monatlich kurzweilig und unterhaltsam mit Menschen, die so sind wie er – „Halbe Katoffln“ nämlich. Theresa Brüheim hat nachgefragt, wie Integration, Identität und Stereotype heute zeitgemäß in den Medien thematisiert werden sollten.

Theresa Brüheim: Sie beginnen Ihren Podcast immer mit der Passkontrolle. Was hat es damit auf sich?
Frank Joung: Das war eine Idee, die spontan in einem Gespräch entstand. Ich spreche nicht immer mit Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen. Man hat also kein direktes Bild von ihnen. Außerdem hört man die Leute, aber sieht sie nicht. Durch die Passkontrolle bekommt man einerseits eine Vorstellung, wie jemand aussehen könnte. Andererseits ist es ein Gag: Ich checke so, ob die Person deutsch ist. Manche erleben das auch im Alltag: Sie werden am Bahnhof angehalten mit der Aufforderung „Bitte mal den Pass zeigen“.

Wie sind die Reaktionen der Gesprächspartner darauf?
Diejenigen, die den Podcast vorher nicht gehört haben, erkenne ich daran, dass sie überrascht sind. Bisher hat noch niemand den Pass nicht zeigen wollen.

Der Podcast, von dem wir sprechen, heißt „Halbe Katoffl“. Ist das mehr als nur ein griffiger Name?
Für die Benennung des Podcasts war mir wichtig, dass der deutsche Anteil herausgestellt wird. Denn das ist der gemeinsame Nenner, den ich mit all den Gesprächspartnern habe: unsere deutsche Identität – in welcher Weise auch immer. Das Wort „deutsch“ sollte aber nicht im Titel stehen, da es in die falsche Richtung interpretiert werden kann. Also habe ich nach Synonymen gesucht und kam schnell auf die Kartoffel.

2016 ging die Pilotfolge live. Ein paar Jahre, bevor der große Podcast-Hype Deutschland erfasst hat. Wie sind Sie zum Podcasten gekommen?
Angefangen hat es mit amerikanischen Sport-Podcasts, insbesondere Basketball-Podcasts. Ich fand das Medium so toll und dann habe ich mir gedacht: „Das müsste man auch mal machen“. Das Thema kam später dazu. Ich wollte gern mit Menschen sprechen, die so sind wie ich.

Wie kam die Idee zum Thema?
Als Journalist gefiel es mir gar nicht, wie über Menschen mit Migrationshintergrund in den Massenmedien berichtet wird. Entweder war das die Rassismus-Story aus einer Opferhaltung heraus oder die Aufsteigergeschichte. Es gibt noch mehr als diese schablonenartigen Geschichten. Ich habe mich gefragt, weshalb nicht mit Menschen geredet wird, die so sind wie ich. Die „Halben Katoffln“ können sich identifizieren und die „Ganzen Katoffln“ können was aus dieser Welt mitnehmen.

Laut Selbstbeschreibung will „Halbe Katoffl“ lustig, unterhaltsam und kurzweilig über die Themen Integration, Identität und Stereotype sprechen.

Wieso ist gerade das wichtig?
Wenn öffentlich über Integration und Stereotype gesprochen wird, tun dies meistens weiße Menschen – oftmals im politischen Kontext. Jeder versucht, klug zu wirken und besonders viele Fremdwörter einzubringen. Sie sprechen über die anderen, wie man die integrieren kann oder warum die so sind. Das ist eine sehr einseitige Sicht, die auch einfach langweilig ist. Und es erreicht die »Halben Katoffln« gar nicht. Zumindest kommt es bei mir nicht an. Mein Gefühl ist, dass Geschichten und Anekdoten aus dem Leben, die manchmal traurig und manchmal lustig sind, viel mehr bringen und näher an den Menschen sind.

An dieser Stelle muss ich sagen: großes Kompliment. Hört man „Halbe Katoffl“, hat man das Gefühl, mit am Tisch zu sitzen. Es ist sehr nahbar. Wie wählen Sie Ihre Gesprächspartner aus?
Es fängt so an, dass ich jemanden kenne, mit dem ich rede, oder jemand kennt jemanden … über diese Schiene. Dann gibt es Leute, die ich gezielt aussuche. Manche bieten sich selbst an. Das ist für mich schwierig, weil ich, wenn sie nicht in der Öffentlichkeit stehen, nur bedingt einschätzen kann, ob sie sich für einen Podcast eignen. Auch wenn für mich jeder eine interessante Geschichte hat, kann nicht jeder sie gut rüberbringen.

Jedes Gespräch, jede Podcastfolge ist sehr persönlich. Können Sie in den drei Jahren, die Sie „Halbe Katoffl“ machen, dennoch ähnliche Erfahrungen oder Geschichten feststellen, die die Gesprächspartner miteinander teilen?
Alle beschäftigt die Frage nach Identität. Unterschiede zeigen sich dann dabei, wie man sie angeht. Auch Alter und deutscher Wohn- bzw. Heimatort spielen eine Rolle. Jemand, der auf dem Dorf aufgewachsen ist, hat andere Erfahrungen gemacht als jemand, der in der Stadt groß geworden ist. Aber alle wurden mit ihrer Identität konfrontiert. Das ist eine Gemeinsamkeit. Und ich habe festgestellt, dass es sich interessanterweise bezüglich des Alters sehr ähnelt. 20-Jährige machen sich in der Regel weniger Gedanken darum als 40-Jährige. Mit 20, 25 hat man andere Themen, die einen vordergründig beschäftigen.

Seit diesem Jahr gibt es zusätzlich „Halbe Katoffl Sport“. Das ist ein Kooperationsprojekt mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Für diese Podcastfolgen sprechen Sie mit Sportlerinnen und Sportlern. Inwiefern unterscheiden sich diese Folgen vom klassischen Podcast?
An sich unterscheiden sie sich nicht. Aber was der Sport leisten kann – und das ist ein Klischee, das stimmt – ist, dass während Kindheit, Pubertät und Jugend Sport Selbstbewusstsein bringt. Ein Sportverein oder eine Sportdisziplin ist ein Mikrokosmos, in dem man als Sportler integriert ist und meistens anders gesehen wird. Da zählt Leistung, da zählt das gemeinsame Sporttreiben. Auch für mich war dieser geschützte Raum wichtig. Aus meinen Gesprächen weiß ich, dass das für viele sehr wohltuend ist.

„Halbe Katoffl“ wurde aufgrund eines Mangels in der massenmedialen Berichterstattung ins Leben gerufen. Wie ist das heute? Fehlt immer noch etwas? Wenn ja, was genau?
Es hat sich auf jeden Fall was getan – allein schon in der Podcast-Szene. Als ich anfing, gab es keinen deutschsprachigen Podcast, der sich mit dem Thema beschäftigt hat. Jetzt haben wir 10 bis 20 Podcasts von People of Colour. Es gibt auch Videoformate wie Germania von funk, es gibt Datteltäter und andere. Aber es kann noch mehr geben und noch selbstverständlicher sein, dass People of Colour (PoC) Moderatoren, Journalisten, vor und hinter der Kamera sind.

Was können Medien – über das Format des Podcast hinaus – in Zukunft tun, um Diversität präsenter zu machen?
Erstens Leute mit Migrationshintergrund einstellen: Die Redaktion sollte Vielfalt aufweisen und verschiedene Perspektiven haben. Es muss ja nicht immer das Herkunftsland sein, auch Frauen oder Menschen mit anderem sozialen Background können einer Redaktion nur helfen. Intern sollte die Ausgewogenheit geprüft werden. Ich habe früher bei einer Zeitung gearbeitet. Da war das nicht der Fall. Zweitens sensibler schauen, was man berichtet – gerade bei den Themen Geflüchtete, Menschen mit Migrationshintergrund, andere Nationalität, auch in Bezug auf Kriminalität. Da wird heute noch sehr viel falsch gemacht. Das liegt nicht daran, dass alle rechts sind, sondern dass man sich damit entweder nicht beschäftigt oder nicht sensibel genug ist. Das könnte schon viel bewirken.

Wenn wir bei der Zukunft sind, wie soll es mit „Halbe Katoffl“ weitergehen?
Natürlich soll es noch weiter wachsen – sowohl was die Hörerzahlen als auch die Episodenmenge anbelangt. Ich kann mir vorstellen, „Halbe Katoffl“ auf andere Medien auszuweiten, z. B. ein Buch oder eine Ausstellung zu machen. Wir hatten gerade Gespräche für ein PoC-Podcast-Festival, was bestimmt kommen wird.

Inwieweit besteht ein genereller Austausch mit Podcast-Kollegen?
Wir sind sehr stark im Austausch und unterstützen uns vor allem über die sozialen Medien, vornehmlich Instagram. Ich freue mich immer, wenn es einen neuen Podcast gibt, der das Thema behandelt. Wir sind uns alle wohlgesinnt und denken, es kann noch mehr Formate von PoC geben. Egal ob die Sichtweise eine deutsch-vietnamesische, eine muslimische oder afro-deutsche ist: Wir wissen, dass wir alle zusammengehören. Das ist ein gutes Gefühl. Denn es ist wichtig, dass PoC sich trauen, was in ihrem Feld zu machen. Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen: „Hm, ich weiß nicht, ob ich das darf oder ich kenne da niemanden, der das macht.“ Ich habe lange nicht daran geglaubt, dass ich Journalist werden kann. Ich habe damals nie einen asiatischen Menschen in deutschen Zeitungen oder als Lehrer gesehen. Dieses Gefühl sollte jemand, der hier aufwächst, nicht haben.

Dieses Gefühl hat Ihnen die Gesellschaft aus Mangel an Vorbildern vermittelt?
Es gab keine Vorbilder. Das heißt, man denkt gar nicht drüber nach. Ich weiß noch, dass mir jemand erzählt hatte: „Der und der hat sich bei der Journalistenschule beworben.“ Und ich dachte: „Krass, Journalistenschule.“ Zu dem Zeitpunkt hätte ich mich nicht getraut, mich zu bewerben. Das ist natürlich meine persönliche Erfahrung, aber es hätte mir geholfen, wenn man in verschiedenen Positionen unterschiedliche Menschen gesehen hätte, mit denen ich mich hätte identifizieren können. Ich habe mich umgeguckt und sah keine Polizisten, keine Richter, keine Lehrer, keine Ärzte, die asiatischer Herkunft oder dunkelhäutig sind. Hinzu kommt, dass ich aus einem nicht akademischen Haushalt komme. Ich habe nicht mal gedacht, dass ich studieren werde. Zu Beginn meines Studiums hatte ich ein Gespräch mit einem Kumpel marokkanischer Herkunft. Er hat Medizin studiert und dachte zu Beginn auch: Hoffentlich fällt es keinem auf, dass ich hier eigentlich nicht hingehöre. Ich glaube, das Gefühl haben die meisten heute nicht mehr, oder zumindest hoffe ich es.

Vielen Dank.

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019.

Copyright: Alle Rechte bei Initiative kulturelle Integration

Adresse: https://www.kulturelle-integration.de/2019/10/29/von-halben-und-ganzen-katoffln/