Eröffnungsrede von Susanne Keuchel zur zweiten Jahrestagung der Initiative kulturelle Integration am 3. September 2019
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Grütters,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
der Deutsche Kulturrat ist zugleich Mit-Initiator, Moderator und Mitglied der Initiative kulturelle Integration. Als Letzteres freue ich mich, Sie auch im Namen der anderen Mitglieder der Initiative zu unserer 2. Jahrestagung unter der Überschrift „Medien und Demokratie“ herzlich begrüßen zu dürfen.
Olaf Zimmermann hat zuvor Ihren Blick stärker auf die zentrale Fragestellung am Vormittag zur Verantwortung der Medien für die Demokratie richten wollen. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit insbesondere auf den Nachmittag unserer Jahrestagung lenken, der sich mit der Frage der Teilhabe am demokratischen Diskurs beschäftigt.
Wie Sie wissen, bezeichnet Demokratie politische Ordnungen bzw. Systeme, in denen Macht und Regierung vom Volk ausgehen. Dieses wird entweder unmittelbar oder durch Auswahl entscheidungstragender Repräsentanten an allen Entscheidungen, die die Allgemeinheit verbindlich betreffen, beteiligt. Teilhabe ist also ein demokratisches Grundprinzip. Eine Demokratie beinhaltet Bürgerrechte aber auch Bürgerpflichten, beispielsweise das Einhalten von der Mehrheit getragener Gesetze oder Abgabepflichten. Es geht also in einer Demokratie immer um gemeinsame Aushandlungsprozesse. Diese Balance zwischen der Teilhabe auf der einen und Bürgerpflicht auf der anderen muss im Einklang stehen. Wenn nicht, zeichnen sich Gefahren für die Demokratie ab. Hat der Bürger das Gefühl fehlender Entscheidungsbeteiligung verliert er das Vertrauen in den Staat. Dies kann durch schwindende soziale Bindungen innerhalb der Gesellschaft, wie sie aktuelle Individualisierungsprozesse befördern, begünstigt werden.
Beteiligung hängt jedoch nicht nur vom Spielraum der Beteiligung ab, sondern auch vom Informationsfluss – das Gefühl, Dinge richtig einschätzen zu können, um sich dann auch entsprechend einbringen zu können. So liegt ein Grund des Vertrauensverfalls in Politik sicherlich auch darin, dass gesellschaftliche Zusammenhänge immer komplexer werden, nicht zuletzt durch Globalisierungsprozesse. Hiermit haben sich wesentliche Existenzbedingungen der Demokratie verändert. Es wird immer schwieriger, den Ort der demokratischen Verantwortung zu bestimmen, zumal es noch nicht gelingt, die internationale Ebene nach den Prinzipien der Demo¬kratie zu gestalten.
Hier zeigt sich die wichtige Bedeutung öffentlich-rechtlicher Medien. Es ist wichtig, dass offen über sperrige komplexe Themen geredet wird in Formaten, die von breiten Teilen des Volks auch verstanden werden. Hier nehmen auch wir als zivilgesellschaftliche Verbände eine wichtige Schlüsselrolle ein. Und möglicherweise müssen wir alle, die wir hier sitzen, uns auch kritisch reflektieren, in wieweit wir hier offen sind für den Dialog auf breiter Ebene. Oder leben wir zumindest in Teilen nicht auch in einer Filter Bubble, da wir innerhalb unserer Kreise viele Dinge sehr einheitlich bewerten – und dabei oft in einer Sprache kommunizieren, die von der Breite der Bevölkerung nicht mehr verstanden wird.
Innerhalb des öffentlichen Diskurses wird es für die demokratische Teilhabe auch zunehmend wichtig, nicht nur kritisch zu reflektieren – zurzeit dominieren schlechte Nachrichten – sondern auch in einem angemessen Umfang darüber zu berichten, wo Bürgerbeteiligung und Demokratie etwas Positives bewirkt haben. Nur so können Einzelne auch motiviert werden, sich dauerhaft und nachhaltig in demokratische Prozesse einzumischen.
In diesem Sinne ist unser Bündnis – zivilgesellschaftliche Verbände als ein wesentlicher Pfeiler der Demokratie in Kooperation mit Politik und Medien – eine hervorragende Ausgangssituation, um diese Dinge gemeinsam anzupacken und vorwärtsgerichtet Bürgerbeteiligung zu stützen und nicht rückwärtsgewandt über Fehler und Vergangenes zu lamentieren.
Neben einer stärkeren Würdigung gelungener Bürgerbeteiligung sollten wir im Sinne einer aktiven Demokratieteilhabe auch unsere aktuelle „Streitkultur“ kritisch reflektieren.
Eine Kategorisierung in „weiß“ und „schwarz“, eine starke Polarisierung, wie sie aktuell beobachtet werden kann, ist angesichts vieler Grauschattierungen möglicherweise gar nicht zielführend. Innerhalb der Demokratie sollte es kein „alternativlos“ geben, sondern Gestaltungsoptionen. Eine „offene“ Streitkultur bedarf klare Regeln und Grenzen, aber auch die Fähigkeit, andere Perspektiven und Sichtweisen einzunehmen. Die aktuelle Attitüde, dass eine einzige Aussage, die als politisch unkorrekt klassifiziert wird, heute dazu führen kann, dass sich die Person in ihrer beruflichen und privaten Existenz gefährdet sieht, hemmt eine offene Streitkultur und schürt die Angst, sich offen mit kritischen Fragen auseinanderzusetzen. Wir dürfen verbale Wortduelle nicht zu existenzentscheidenden Duellen klassifizieren.
Innerhalb der Künste und Wissenschaften gibt es kein „richtig“ oder „falsch“. Innerhalb der Wissenschaften nur unkorrekte Logik- und Begründungszusammenhänge: Wurde damals beispielsweise gelehrt, dass die Erde eine Scheibe ist, sind wir heute überzeugt, dass diese eine Kugel ist. Es würde spannend sein, einen Blick in die Zukunft zu werfen, um zu sehen, welche unserer heutigen Lehren in der Wissenschaft sich verändern werden!
Auch innerhalb der kulturellen Bildung, die auf die Künste referiert, gibt es kein „richtig“ oder „falsch“, sondern vielfältige Gestaltungswege. Dies ist eine gute Grundlage den Einzelnen zu stärken, eigene Haltungen zu Zukunftsfragen zu entwickeln. Eine eigene Haltung ist eine Grundvoraussetzung, um in demokratische Aushandlungsprozesse zu treten und eigene Teilhabe zu ermöglichen im Spannungsfeld zwischen eigenen und gesamtgesellschaftlichen Interessen. Das Motto der Initiative „Zusammenhalt in Vielfalt“ trifft somit das Kernverständnis der demokratischen Teilhabe.
Diese Offenheit gegenüber vielfältigen Perspektiven sollten wir fördern und ausbauen. Lediglich eine ethische Leitlinie sollten wir innerhalb einer offenen Streitkultur, die einen Gegenpol zu Polarisierungstendenzen aufbaut, indem sie nicht rückwärtsgewandt ist, sondern Antworten auf berechtigte Zukunftsfragen im Diskurs sucht, nie aus dem Augen lassen: die Menschenrechtskonvention – oder mit dem Grundgesetz gesprochen: die „Würde“ des Menschen.
In diesem Sinne freue ich mich heute auf anregende Diskussionen und „Aushandlungsprozesse“ im Sinne einer zukunftsorientieren Perspektive – frei nach dem Zitat von Albert Einstein: Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.
Und ich bin sicher, dass wir in Form dieses starken Bündnisses einen relevanten Beitrag zum zukünftigen gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten können.