Helmut Hartung 28. August 2019 Logo_Initiative_print.png

Lokale Medi­en­viel­falt – eine Illusion?

Bei loka­len und regio­na­len Infor­ma­tio­nen droht ein Ver­lust an Vielfalt

Welche Medien berichten über die Ereignisse in meiner Stadt? Welche Radiosender gibt es in Bochum, welche Lokalzeitungen in Dortmund? Und wo finde ich Online-Portale, die über das lokale Geschehen im Umkreis berichten? All diese Fragen beantwortet seit Juli die interaktive Übersicht der Lokalmedien in Nordrhein-Westfalen (NRW), veröffentlicht vom Journalismus Lab der Landesanstalt für Medien NRW, mit nur wenigen Klicks. Die digitale Landkarte macht sämtliche lokale Zeitungen und Zeitschriften, alle privaten Radio- und TV-Sender sowie Online-Portale im Bundesland sichtbar. Eine solche Karte, bisher in Deutschland einmalig, kann die „schwarzen“ Flecken aufzeigen oder die Regionen benennen, in denen es sogar mehrere konkurrierende lokale Medien gibt. Sie kann damit Hilfe zum Handeln geben. Wenn von Medienvielfalt die Rede ist, denken die meisten zuerst an überregionale Zeitungen oder TV-Sender, an News-Online-Portale oder soziale Netzwerke. Lokale und regionale Medien geraten dabei oft aus dem Blick.

Es gäbe auch in NRW einige blinde Flecken, also Landkreise oder Regionen, die medial unterversorgt sind, beschreibt Simone Jost-Westendorf, Leiterin des Journalismus Lab, das lokale Medienangebot. „Das betrifft vor allem ländliche Gebiete. Und was auch auffällt: Die Zahl der Einzeitungskreise nimmt zu. Das bedeutet, dass immer weniger Menschen die Auswahl zwischen verschiedenen Zeitungen haben. Gleichzeitig entstehen neue digitale Angebote.“ Bei diesen Angeboten handelt es sich jedoch vor allem um journalistische Blogs. Aber können diese Blogs rückläufige lokale Angebote bei Tageszeitungen ausgleichen? Simone Jost-Westendorf: „Unseres Wissens vermögen es nur wenige Angebote, langfristig das gesamte Informationsangebot von Tageszeitungen abzudecken und damit rückläufige Angebote auszugleichen. Diese digitalen Angebote sind aber sehr wichtig als zusätzliche Stimmen im Lokalen. Teils handelt es sich um hyperlokale Angebote, teils um Blogs, die Nischenthemen behandeln. Damit ergänzen sie die bestehenden Angebote.“

NRW ist bei der Förderung von Lokaljournalismus weiter als andere Bundesländer. Mit einem eigenen Preis werden Projekte, die für innovativen und vielfältigen Lokaljournalismus in und aus NRW stehen, ausgezeichnet. Doch wie es aussieht, reicht das nicht aus, um eine lokale Medienvielfalt zu sichern.

Auch Jugendliche haben großes Interesse an lokalen Informationen

Wer sich an seinem Wohnort heimisch fühlen möchte, muss wissen, was dort vor sich geht. Für knapp zwei Drittel der Menschen gehört es daher zum Alltag, sich regelmäßig über das Geschehen vor Ort auf dem Laufenden zu halten. Das mit Abstand wichtigste Medium hierfür sind die Zeitungen: 61 Prozent nutzen die regionalen Tageszeitungen gedruckt und digital, um sich über die Ereignisse daheim oder in der näheren Umgebung zu informieren. Die Zeitungen rangieren damit sogar vor persönlichen Gesprächen (49%) und anderen Internetangeboten (53%), kostenlosen Anzeigenblättern (51%), Radio (37%), Amts- und Gemeindeblättern (31%) sowie Regionalfernsehen (30%). Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie, die die Zeitungsmarktforschung Gesellschaft (ZMG) im Auftrag des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) durchgeführt hat. Für neun von zehn Deutsche ist „Heimat“ eine wichtige Kategorie. Sie definieren sie in erster Linie emotional: „Meine Heimat ist dort, wo ich mich wohlfühle“, sagen 91 Prozent. „Ein Ort, den ich in meinem Herzen trage“ (82%), „wo die Menschen sind, die ich liebe“ und „wo ich das Gefühl habe dazuzugehören“ (jeweils 81%). Auch von den 14- bis 29-Jährigen geben 55 Prozent die regionale Tageszeitung (gedruckt und digital) als Informationsquelle für Lokales an, 62 Prozent der 30- bis 49-Jährigen nutzen sie hierfür ebenso wie 63 Prozent der über 50-Jährigen.

Für das subjektive Empfinden spielt auch die räumliche Zugehörigkeit eine Rolle: 82 Prozent verbinden mit Heimat die Umgebung, die vertraut und bekannt ist bzw. den eigenen Wohnort (76%). Heimat steht also für Nähe, Vertrautheit, Zugehörigkeit. Eine (emotionale) Heimat zu haben, gewinnt in Zeiten der Globalisierung offenbar an Bedeutung.

Klassische Medien sind für die lokale Meinungsbildung am wichtigsten

Nach Analysen des aktuellen „MedienVielfaltsMonitors“ der Medienanstalten nimmt die generelle Bedeutung der klassischen Medien für die Meinungsbildung weiter ab. Die Relevanz des Fernsehens für die überregionale Meinungsbildung ist in den letzten fünf Jahren von 36,9 Prozent auf 32,7 Prozent gesunken. Gewinner dieser Entwicklung ist das Internet. Sein Gewicht für die Meinungsbildung, das sich aus der Nutzung und der Wichtigkeit des Mediums für die Meinungsbildung der Nutzer ergibt, stieg im gleichen Zeitraum von 17,9 Prozent auf 27,7 Prozent. Für die unter 50-Jährigen ist das Internet der Spitzenreiter für die Meinungsbildung: Bei den 14- bis 29-Jährigen liegt das ermittelte Meinungsbildungsgewicht des Internets mit 54,5 Prozent knapp doppelt so hoch wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Ein ganz anderes Bild zeigt ein Blick auf die Relevanz der Medien, wenn es um lokale oder regionale Informationen geht: Einflussreichste Mediengattung bleibt hinsichtlich des ermittelten Meinungsbildungsgewichts für lokale und regionale Themen – trotz ihrer rückläufigen Reichweite – die Tageszeitung mit 32,1 Prozent, gefolgt von Internet (26,4%), Radio (22,1%) und Fernsehen (14,4%).

Zeitungen sind für lokale Informationen weiterhin das glaubwürdigste Medium

Diese Analyse verwundert nicht. Denn überregionale Online-News-Plattformen verfügen im Gegensatz zu Zeitungen oder Radiosender über keine lokalen Redaktionen, die kompetent vor Ort berichten, sondern leben – wenn sie überhaupt lokale oder regionale Informationen aufgreifen – von sozialen Netzwerken oder User-generated Content. Teilweise kopieren sie auch nur News von lokalen Medien. Die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen sind in eine solche zweifelhafte Nachrichtenkompetenz aus zweiter Hand natürlich gering. Lokale Blogs, die in großer Zahl nicht nur in NRW inzwischen präsent sind, haben aufgrund der Schwierigkeiten bei der Refinanzierung und damit zumeist geringen Personalausstattung nur eine geringe Relevanz. Auch die durch Landesmedienanstalten finanzierten Bürgerradios können nur sehr begrenzt zur Meinungsvielfalt beitragen. Während Online-Plattformen heute bei nationalen und internationalen Themen eine professionelle und aktuelle Berichterstattung in Konkurrenz zu den klassischen Medien bieten können, ist das im lokalen und regionalen Bereich nur in Ausnahmen möglich. Die große Mehrheit regionaler Online-Angebote stammt von Regionalzeitungen, Hörfunksendern oder TV-Anstalten. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung (38%) hält die Zeitung bei lokalen und regionalen Informationen somit für das glaubwürdigste Medium. Mit deutlichem Abstand folgen die öffentlich-rechtlichen Medien (19%) und das Internet (12%). Privatfunk und kostenlose Anzeigenblätter (3%) reichen in puncto Glaubwürdigkeit nicht an die Zeitung heran. Nach Angaben des BDZV publizieren Verlagshäuser mehr als 600 digitale Nachrichtenangebote und verbreiten täglich gut 300 gedruckte Lokal- und Regionalzeitungen. Die Bedeutung regionaler und lokaler Medienhäuser für die lokale Information ist deshalb weiterhin sehr groß und kaum durch andere Angebote zu kompensieren. „Ein verlässliches lokales Informationsangebot wie das der regionalen Tageszeitungen ist zum einen für das subjektive Empfinden von Lebensqualität ein wichtiges Element. Gleichzeitig ist es aber auch eine unverzichtbare gesellschaftliche Notwendigkeit und Grundlage für politische Meinungsbildung, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Demokratie“, so bewertet Dietmar Wolff, BDZV-Hauptgeschäftsführer die Bedeutung kompetenter und glaubwürdiger lokaler Nachrichten. „Die schiere Fülle von Nachrichten und Informationen, die heute auf Leserinnen und Leser über alle Kanäle rund um die Uhr einstürzt“, so Wolff, „kann zu Überforderung, Misstrauen, Ablehnung führen. Bei lokalen und regionalen Medien sehe ich da den Vorzug der schnellen und häufig auch einfachen Überprüfbarkeit. Auch deshalb ist die Zeitung das glaubwürdigste Medium bei lokalen und regionalen Themen.“

Es droht ein Verlust an Vielfalt bei lokaler und regionaler Information

Doch die Situation bei den regionalen und lokalen Zeitungsverlagen ist, ebenso wie bei der gesamten Printbranche, schwierig und oft sind diese Verlage auch Gesellschafter bei lokalen Radiosendern. In einer Studie des Instituts für Europäisches Medienrecht im Auftrag der Thüringer Landesmedienanstalt und der Thüringer Staatskanzlei vom April 2019 wurde auf diese dramatische Situation aufmerksam gemacht: „Im Lokaljournalismus ist ein wachsender Konzentrationsgrad zu erkennen – verbunden mit Einsparungen im Redaktionsbereich. Die Konkurrenz durch neuartige Angebote im Internet in Verbindung mit Formen individualisierter Werbeausspielung belastet werbliche Refinanzierungsmöglichkeiten für klassische Presse- und Rundfunkangebote auf lokaler bzw. regionaler Ebene zusätzlich und birgt Risiken im Hinblick auf neue Angebotsformen für lokale und regionale Informationen. Disruptive Prozesse, die durch neue Akteure, neue Inhalte und neue Vermarktungsansätze in der kulturellen, ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Wertschöpfung mittels medialer Beiträge zur individuellen und öffentlichen Meinungsbildung ausgelöst werden können, bergen nicht nur die Kraft ’schöpferischer Zerstörung‘, sondern auch das Risiko vielfaltsbegrenzender Entwicklungen – nicht zuletzt auf der lokalen und regionalen Ebene des demokratischen Prozesses und gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Ökonomische Vielfaltsgefährdungen durch erschwerte Refinanzierungsmöglichkeiten gehen mit vielfaltsgefährdendem Wandel im Mediennutzungsverhalten einher: Ein Generationenabriss in der Nutzung lokaler und regionaler Informationsangebote würde eine wesentliche Grundlage demokratischer Willensbildung erodieren und birgt damit Risiken, die weit über wirtschaftliche Zukunftsperspektiven von Medienhäusern hinausreichen.“

In der Studie wird deshalb eine stärkere gesellschaftliche Förderung lokaler Medien als einziger Weg aus dieser Informationsmisere gekennzeichnet. Die Vorschläge reichen von einer Bezuschussung zu einer allgemeinen Verbesserung der Rahmenbedingungen für Vielfalt durch Aus- und Weiterbildung von Journalisten. Möglich ist sowohl eine direkte Medienförderung in Form unmittelbarer finanzieller Zuwendungen des Staates an Medienunternehmen als auch Maßnahmen der indirekten Medienförderung, z. B. über Steuererleichterungen oder Medienkompetenz- und Forschungsförderung. Für Benjamin-Immanuel Hoff, Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei Thüringens, darf Presseförderung „niemals Selbstzweck sein, weder als Selbstdarstellungswerkzeug für die Förderer dienen noch zur Erschleichung gewogener Berichterstattung oder dergleichen. Presseförderung sollte nur als Nothilfemaßnahme stattfinden und muss natürlich inhaltsneutral und diskriminierungsfrei ausgestaltet sein. Die Inhaltsneutralität wäre gegeben, wenn sich die Förderung beispielsweise auf Verbreitungskosten beschränkt. Dass diese Art der Unterstützung, ich sage ganz deutlich auch die Unterstützung der Zustellkosten, aktueller denn je ist, zeigt sich auch an dem gleichgelagerten Vorschlag von Bundesminister Heil.“ Die deutschen Verlegerverbände verhandeln seit einigen Monaten mit dem Arbeitsministerium über eine direkte Infrastrukturförderung für Logistik. Sie hoffen auf eine dreistellige Millionensumme für die Branche.

Länder gründen Arbeitsgruppe „Regionale Vielfalt“

Um weitere Fördermaßnahmen für lokale Medien zu prüfen, haben die Bundesländer eine Arbeitsgruppe „Regionale Vielfalt“ gegründet. Den Vorsitz hat Sachsen übernommen. Wie Oliver Schenk, Chef der Sächsischen Staatskanzlei in einem Interview mit medienpolitik.net informierte, sehen die Länder wachsende Probleme im lokalen und regionalen Medienbereich. Dies betreffe sowohl Printmedien als auch die elektronischen Medien, insbesondere das Fernsehen. „Es droht“, so Schenk, „ein Verlust an Vielfalt in der öffentlichen Debatte und bei der Information der Bürgerinnen und Bürger über Ereignisse und Entwicklungen gerade auch in ihrer unmittelbaren Nähe.“ Die Arbeitsgruppe will das Thema umfassend betrachten. Deshalb soll auch die Situation der regionalen und lokalen Zeitungen in den Fokus genommen werden. Dabei will man auch die Entwicklung in anderen europäischen Ländern berücksichtigen.

Allerdings ist die Frage eines Förderausbaues im Länderkreis keinesfalls unumstritten und bedarf, so Schenk, noch sorgfältiger Erörterung. Bei einer Inhalteförderung aus öffentlichen Mitteln wäre aus rechtlichen Gründen auf deren staats- und politikferne Ausgestaltung zu achten. „Ob“ überhaupt und „wann“ ein solcher Staatsvertrag zustande kommt, lässt sich gegenwärtig nicht abschätzen.

Eine Medienvielfalt bei lokalen und regionalen Medien muss keine Illusion sein und könnte auch in der digitalen Medienwelt ein Rückgrat unserer demokratischen Gesellschaft bilden. Aber diese Gesellschaft muss sich dafür stärker als bisher mit Ideen, Projekten wie dem in NRW, und auch finanzieller Förderung engagieren. Allein schaffen die lokalen Medien die digitale Transformation nicht. Soziale Netzwerke sind auch im lokalen Bereich kein Ersatz für kompetenten und glaubwürdigen Journalismus.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2019.

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