Olaf Zimmermann 27. März 2019 Logo_Initiative_print.png

Kunst und Wis­sen­schaft, For­schung und Lehre sind frei, eine Zen­sur fin­det nicht statt

Das Deut­sche Grund­ge­setz wird 70 Jahre alt

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes bezogen sich bei ihrer epochalen Erarbeitung des neuen Verständnisses der Verfasstheit Deutschland, dem Grundgesetz, nach dem absoluten moralischen und politischen Bankrott in der Nazizeit, zum einen auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und zum anderen auf die erste demokratische Verfassung Deutschlands, die Weimarer Verfassung.

In der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 wird dem Reich die Gesetzgebung für das Presse-, Vereins- und Versammlungswesen sowie das Theater- und Lichtspielwesen zugewiesen. Art. 118 sicherte zu, dass keine Zensur stattfindet. Es können allerdings gesonderte Bestimmungen für das Lichtspielwesen getroffen werden sowie Maßnahmen zur Bekämpfung von Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Jugendschutz bei öffentlichen Schaustellungen. In Art. 142 der Weimarer Verfassung wird zum einen die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit gesichert und zum anderen die Kulturpflege verankert. Es heißt: „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil.“ Weiter wird in Art. 150 der Weimarer Verfassung ausgeführt: „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates. Es ist Sache des Reiches, die Abwanderung deutschen Kunstbesitzes in das Ausland zu verhüten.“ In Art. 158 schließlich wird das Recht der Urheber, Künstler und Erfinder auf den Schutz und die Fürsorge des Reiches verankert.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 knüpft an verschiedene Artikel der Weimarer Verfassung an. In einigen Punkten wurde allerdings die Zuständigkeit stärker den Ländern zugewiesen. Es war also nicht allein die gewachsene Kulturverantwortung der Länder, die einer selbstbewussten Bundeskulturpolitik in der jungen Bundesrepublik im Wege stand. Vielmehr war es nach dem schmerzhaften Ende der Weimarer Republik, die NS-Kulturpolitik mit ihrer erfolgreichen Indienstnahme von Kunst und Kultur für Propaganda, mit der Verfolgung missliebiger, besonders jüdischer Künstler, mit der Abschaffung von Kunst- und Pressefreiheit und anderem mehr ein Hindernis für eine starke Bundeskulturpolitik.

Zu sehr hatten sich viele Künstler und andere Kulturverantwortliche in den Dienst nehmen lassen. Zu sehr hatten sie sich angepasst und sich einer der sieben Kammern der Reichskulturkammern angeschlossen, um weiterhin publizieren, auftreten, ausstellen usw. zu können.

Im Grundgesetz wird in Art. 5 Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit deutlich garantiert. Anders als in der Weimarer Verfassung fehlt das explizite Bekenntnis, dass der Staat Kunst und Wissenschaft schützt und pflegt – also das sogenannte Staatsziel Kultur. Die Verankerung eines Staatsziels Kultur im Grundgesetz war seither mehrfach Gegenstand kulturpolitischer Debatten und Überlegungen. Zuletzt fand eine eingehende Befassung mit dem Staatsziel Kultur im Rahmen der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ statt.

Der Deutsche Kulturrat hat sich wiederholt für das Staatsziel im Grundgesetz ausgesprochen und die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien aufgefordert, dem einstimmigen Votum der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ zu entsprechen und Art. 20 GG um einen Abschnitt b mit dem Wortlaut „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ zu ergänzen. Das 70. Jubiläum des Grundgesetzes wäre ein schöner Zeitpunkt das jetzt umzusetzen.

Die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes auf dem Gebiet Presse als auch für Theater- und Lichtspielwesen wurden aus der Weimarer Verfassung nicht in das Grundgesetz übernommen. Hier wurden Lehren aus der NS-Zeit gezogen. Die Verantwortung tragen die Länder.

Die ausschließliche Zuständigkeit hat der Bund in kulturpolitischen Fragen im Bereich der Telekommunikation, im gewerblichen Rechtsschutz, dem Urheberrecht und dem Verlagsrecht sowie seit den Grundgesetzänderungen in Folge der Föderalismuskommission aus dem Jahr 2006 für den Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung ins Ausland (Art. 73 GG).

In Art. 22 Abs. 1 GG ist festgelegt, dass die Repräsentation in der Hauptstadt Aufgabe des Bundes ist. Das ist so nebenbei der Grund, warum ein so großer Anteil der Kulturfinanzierung durch die Bundesregierung nach Berlin fließt, einfach weil sie hier finanzieren darf.

Ebenso zählt die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu den Bundesaufgaben, denn in Art. 32 Abs. 1 GG ist festgelegt, dass die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten Sache des Bundes ist.

Insofern hat der Bund durch das Grundgesetz unbestritten kulturpolitische Kompetenzen erhalten, wenn auch die Länder deutlich gestärkt wurden.
Doch die formalen Abgrenzungen zwischen Bund und Ländern – wer darf was im Kulturbereich machen – ist nur eine Petitesse im Vergleich zu einem der wichtigsten Artikel im gesamten Grundgesetz, Art. 5 GG:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Seit 70 Jahren hat das Grundgesetz jetzt Gültigkeit für alle in Deutschland lebende Menschen. Es hat sich bewährt, es hat unsere Freiheit gesichert, es hat unsere Demokratie gefestigt. Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei, eine Zensur findet nicht statt, das haben wir Kulturschaffenden gerade auch diesem Grundgesetz zu verdanken. Das ist ein wirklicher Grund zum Feiern!

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2019.

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