Franziska Giffey 6. September 2018 Logo_Initiative_print.png

Deutsch­land spür­bar stär­ker machen

Teil­ha­ben und teil­ge­ben auch in der Kultur

Kultur ist das Fundament unseres Zusammenlebens. Das gilt für Kultur im engeren Sinne – Kunst, Literatur, Musik, Film etc. – und im weiteren Sinne von Sitten und Regeln: Kleidung, Essen, Gastfreundschaft, Verhältnis von Männern und Frauen, Toleranz für andere Lebensweisen und Meinungen. Kultur in Deutschland ist demokratisch und offen. Sie baut Brücken und schafft Räume, in denen Menschen einander begegnen: Menschen, die ähnliche Interessen haben, aber oft auch Menschen, deren Wege sich sonst nicht kreuzen.

Kultur entsteht und wird gelebt in dem, was Menschen jeden Tag tun: professionell auf höchstem künstlerischen Niveau oder einfach im alltäglichen Handeln. Dennoch entsteht und erhält sich Kultur nicht von selbst: Sie braucht Räume, Möglichkeiten, Unterstützung, nicht zuletzt oft auch Geld. Wenn Kultur das Fundament gesellschaftlichen Zusammenlebens ist, gibt es eine öffentliche Verantwortung für Kultur. Als öffentliches Gut muss Kultur allen zugänglich sein: nicht nur denen, die schon von den Eltern an Kultur herangeführt wurden. Nicht nur denjenigen, die für Kultur bezahlen können. Und nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land.

Damit es jedes Kind packt
Für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ist Teilhabe an Kultur ein wichtiger Bestandteil von früher Förderung und Bildung im Kindesalter. Ob Tanz, Theater, Film oder Zirkus: Die Kinder und Jugendlichen, die damit in Berührung kommen, setzen sich mit eigenen und anderen Themen auseinander, lernen, sich auszudrücken, üben den Perspektivwechsel und reifen in ihrer Persönlichkeit. Kultur hilft, selbstbestimmt den eigenen Ort in der Welt zu finden. Mit dem Kinder- und Jugendplan unterstützen wir die kulturelle Bildung und zivilgesellschaftliche Organisationen, die Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Kultur leichter machen. Als Bundesfamilienministerin habe ich ein klares Ziel: Ich will, dass es jedes Kind packt, dass jedes Kind seinen Weg machen kann – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Es geht um Mitmachen und Mitgestalten, auch in der Kultur. Damit jedes Kind von Anfang an diese Möglichkeiten hat, legen wir die Grundlagen in der frühkindlichen Bildung. Die Bundesregierung wird in den nächsten Jahren massiv in den Ausbau und die Qualität der Kindestagesbetreuung investieren. Zum ersten Mal beteiligt sich der Bund nicht nur am Ausbau, sondern auch dauerhaft und verlässlich an der Verbesserung der Qualität in Kitas und in der Kindertagespflege vor Ort. 5,5 Milliarden Euro stehen hierfür bis 2022 bereit. Damit stellen wir sicher, dass alle Kinder früh gefördert werden und einen guten Start bekommen. Egal, woher sie kommen oder welche Voraussetzungen sie mitbringen. Und weil es nach der Kita weitergehen muss, werden wir darüber hinaus zwei Milliarden Euro in den Ausbau der Ganztagsschulen investieren. Damit jedes Talent entdeckt und gefördert wird.

Wir kümmern uns um die Kümmerer – im Engagement und in den sozialen Berufen
In Deutschland engagieren sich über 30 Millionen Menschen ehrenamtlich. Ob als Lesepatin, als Schiedsrichter oder als Chorleiterin, ob im Dorfkino, beim Kiezfest oder im Schützenverein. Im Bereich der Kultur macht das ehrenamtliche Engagement von etwa neun Millionen Menschen die Vielfalt und Qualität der Angebote oft erst möglich. Nicht viel weniger Menschen, nämlich acht Millionen, engagieren sich für Geflüchtete: Sie nehmen Menschen auf, organisieren Deutschkurse und Kleiderspenden, übernehmen Patenschaften und helfen geflüchteten Menschen, in Deutschland zurechtzukommen. Ob im alltäglichen Miteinander oder wenn Not am Mann ist: Menschen engagieren sich, weil ihnen ihre Nachbarschaft, ihr Stadtteil, ihre Region, ihre Mitmenschen ein Anliegen sind, weil ihnen das große Ganze am Herzen liegt. Weil sie Werte haben, die sie selbst ganz konkret leben wollen. Bürgerschaftliches Engagement in all seinen Formen gehört zur Kultur in Deutschland, zur Kultur im Sinne geteilter Regeln und Bedeutungen. Teilhaben zu können, erfordert auch, den eigenen Teil zu geben und sich zu engagieren.

Engagierte wiederum brauchen Wertschätzung, Anerkennung und gute Rahmenbedingungen. Damit sie nicht in Bürokratie ertrinken, sondern sich um ihre Anliegen kümmern können. Als Engagementministerium fördern wir Engagement gemeinsam mit Organisationen der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft: im Dialog, auf Augenhöhe und im gegenseitigen Vertrauen. Z. B. mit dem Programm „Demokratie leben!“: 2018 stärken wir mit 120 Millionen Euro denjenigen den Rücken, die sich tagtäglich für ein lebenswertes, vielfältiges und demokratisches Miteinander einsetzen. Ob als Initiative, Verein und als engagierte Bürgerinnen und Bürger; ob in Organisationen, die bundesweit tätig sind, oder auf Ebene der Länder und der Kommunen: Hier engagieren sich Menschen für die demokratische Kultur in Deutschland. Und weil Demokratiearbeit Planungssicherheit braucht, haben wir das Programm entfristet und über 2019 hinaus verlängert.

Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, bestehende Regelungen zu entbürokratisieren, die digitalen Kompetenzen zu stärken und bei der Organisationsentwicklung von Vereinen, Verbänden und Stiftungen konkrete Unterstützung zu leisten. Das Instrument dafür ist die Deutsche Engagementstiftung. Ehrenamtliches Engagement wird wahrgenommen. Es wird wertgeschätzt. Es erfährt die Unterstützung, die es braucht. Als Engagementministerium ist das unser Auftrag: Wir kümmern uns um die Kümmerer.

Kümmerer, das sind auch die Erzieherinnen und Erzieher, Pflegerinnen und Pfleger, die Fachkräfte in den sozialen Berufen. In Beratungsstellen und sozialen Einrichtungen, in Kitas, Krankenhäusern und Pflegeheimen arbeiten 5,7 Millionen Beschäftigte. Gebraucht werden deutlich mehr: Profis mit guten Qualifikationen und hoher Motivation, deren Arbeit das Ansehen hat, das sie verdient. Dafür aber sind bessere Rahmenbedingungen, bessere Ausbildungsbedingungen und bessere Löhne nötig. Wir wollen das Schulgeld für die Sozial- und Gesundheitsberufe abschaffen. Weil niemand sich die Frage stellen soll, ob er oder sie es sich überhaupt leisten kann, einen sozialen Beruf zu erlernen. In der „Konzertierten Aktion Pflege“ kümmert sich das Bundesfamilienministerium deshalb gemeinsam mit dem Arbeits- und dem Gesundheitsministerium um die Fachkräfte in der Altenpflege.

Frauen können alles
80 Prozent der Beschäftigten im sozialen Bereich sind Frauen. Die sozialen Berufe aufzuwerten, ist auch ein Beitrag zur Gleichstellung von Frauen und Männern und ein Instrument gegen die Lohnlücke: Frauen bekommen im Schnitt 21 Prozent weniger Geld pro Stunde für ihre Arbeit als Männer. Dabei zeigen Frauen jeden Tag, dass sie zu allem fähig sind: Frauen können Maschinen bauen und sich um Menschen kümmern, Kinder erziehen und Unternehmen führen. Sie können Filmproduzentin werden – oder Richterin oder Intendantin. Frauen sind Vorsitzende von Vereinen, Verbänden und Jurys. Frauen können ihr eigenes Leben leben, selbstbestimmt. Frauen können alles: Das ist ein Leitsatz für die Gleichstellungspolitik. Konkret heißt das: Frauen haben ein Recht auf einen Platz am Tisch der Unternehmensführung, sie haben ein Recht auf gleiche Bezahlung, sie haben ein Recht auf ein Leben frei von Gewalt. Deshalb werden wir ein Aktionsprogramm auflegen, mit dem unter anderem die Frauenhäuser, Zufluchtswohnungen und begleitenden Angebote für Frauen, die Gewalt erlebt haben, Unterstützung bekommen. Frauen haben auch ein Recht auf gleichberechtigte Teilhabe in Kunst, Kultur und Medien. Das betrifft die Besetzung von Kommissionen, Jurys und Gremien im Kultur- und Medienbetrieb genauso wie die Vergabe von Förderungen und künstlerischen Aufträgen. Wie in der Wirtschaft gilt auch im Kulturbetrieb: Wer die Perspektive von Frauen ausblendet, vergibt Potenzial. Wenn wir auf Dauer erfolgreich sein wollen, müssen wir dafür sorgen, dass Frauen und Männer gleichermaßen repräsentiert sind.

Und das gleiche gilt für Jüngere und Ältere, Ostdeutsche und Westdeutsche, Menschen mit mehr als einer Nationalität und Muttersprache. Die Vielfalt von Lebensformen, Kulturen und Weltanschauungen bereichert unser Land. Und wo wird das deutlicher als in Kunst und Kultur! Den Deutschen Filmpreis 2018 etwa hat die deutsch-französisch-iranische Regisseurin und Berlinerin Emily Atef erhalten. Marc Forster, einer der erfolgreichsten deutschen Sänger unserer Zeit, heißt mit bürgerlichem Namen Marc Ćwiertnia. Ob im Film oder in der Musik: Vielfalt bereichert Kultur. Eine vielfältige Kultur wiederum bereichert unser Land. Sie öffnet Welten, sie ermöglicht Perspektivwechsel, und sie gibt allen einen Raum, um ihre Geschichte zu erzählen. Eine Kultur von allen und für alle macht Deutschland spürbar stärker.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.

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