Christoph Links 4. September 2018 Logo_Initiative_print.png

Mei­nungs­frei­heit auf Sächsisch

Unge­wöhn­li­che Erfah­run­gen bei der Prä­sen­ta­tion des Buches „Unter Sachsen“

Ja, es gibt sie, die Meinungsfreiheit in Deutschland, doch es gibt sie keineswegs überall im Land und nicht im gleichen Maße. Dies mussten wir im letzten Jahr feststellen, als wir eine Lesereise zum Buch der Herausgeber Heike Kleffner und Matthias Meisner organisierten, das sich in 50 Beiträgen mit den überdurchschnittlich vielen Gewalttaten gegenüber Flüchtlingen im Freistaat Sachsen beschäftigt. Behandelt werden darin die Verbalattacken gegen Muslime auf den Dresdner Pegida-Demonstrationen genauso wie die Übergriffe auf junge Ausländer in Leipzig oder der Brandanschlag auf eine – zum Glück noch nicht bezogene – Asylunterkunft in Meißen. Neben der wütenden Abwehr von allem Fremden durch einen Teil der Gesellschaft werden zugleich auch die Initiativen der Zivilgesellschaft zur Unterstützung der gefährdeten Menschen dargestellt. Alles in allem ein differenzierendes und vielschichtiges Buch, das in den Rezensionen der großen Medien durchgängig positiv bewertet wurde.

Nicht so in Sachsen selbst: Zu unserer Buchpremiere im Theater in Dresden wurde uns Polizeischutz empfohlen, da sich im Internet rechte Gruppen verabredet hätten, die Veranstaltung zu stören. Die uniformierten Kollegen postierten sich dann gut sichtbar mit Mannschaftswagen vor dem Neuen Schauspiel, sodass die Abschreckung Wirkung zeigte. Die Podiumsdiskussion mit Betroffenen konnte ohne Probleme über die Bühne gehen.

Anders entwickelte sich die Situation im nahe gelegenen Meißen. Dort wollte der städtische Kulturverein mit einer Lesung und anschließender Diskussion zum Buch das jährliche Literaturfestival im historischen Rathaussaal eröffnen, dessen Schirmherr der parteilose Bürgermeister ist, der über die Liste der CDU ins Amt gekommen war. Doch nun empörte sich ein CDU-Abgeordneter lautstark im Internet und forderte: „Dieser Dreck darf in unserem Rathaus nicht gelesen werden!“ Dem schloss sich sofort die AfD an, die in dem Buch ein Sachsen-Bashing sah und unschöne Wahrheiten über die geliebte Heimat. Schließlich entschied der Bürgermeister, dass die Veranstaltung stattfinden könne, doch nur unter der Bedingung, dass aus dem Buch zwar gelesen, nicht aber über den Inhalt politisch diskutiert werde. Das mache man sich einmal bewusst: Über eines der brennendsten politischen Themen in der deutschen Gesellschaft darf in einem deutschen Rathaus nicht öffentlich gesprochen werden!

Schließlich erschien dann zur Veranstaltung auch der stellvertretende Regierungschef Sachsens, der SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig, sodass für entsprechende Sicherheit durch die Polizei ohnehin gesorgt war. Die Pöbler und Zwischenrufer im Saal fanden zudem keine Unterstützung bei der Mehrheit der Anwesenden, die sich deutlich auf die Seite der kritischen Autoren auf dem Podium stellten. Darunter befand sich auch der Bürgerrechtler und langjährige Leiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung Frank Richter, der von dem Verhalten seiner CDU derart entsetzt war, dass er anschließend aus der Partei austrat und nunmehr als unabhängiger Kandidat bei den Bürgermeisterwahlen in Meißen im September gegen den bisherigen Amtsinhaber antritt. Er will sich für mehr Meinungsfreiheit in Sachsen einsetzen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.

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