Max Fuchs 28. Februar 2017 Logo_Initiative_print.png

Zum Begriff kul­tu­relle Integration

Ambi­va­len­zen eines Konzeptes

Begriffe helfen, die Welt wahrzunehmen, zu ordnen und zu verstehen. In diesem Zusammenhang haben Begriffe auch eine emotionale Qualität: Man findet sie sympathisch oder abschreckend, man verwendet sie gerne oder man vermeidet sie.

Was bedeutet dies für die beiden Wortbestandteile des Begriffs der kulturellen Integration? Gerade im deutschsprachigen Bereich ist der Begriff der Kultur ausgesprochen positiv besetzt. Man hat in der Regel ein – in der Wissenschaft verpöntes – normatives Verständnis von Kultur, das mit dem Guten, Wahren und Schönen zu tun hat. Ein solches humanistisches Verständnis findet natürlich viele Bezugspunkte in der Geschichte. So sprach der Berliner Philosoph Moses Mendelsohn in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Bildung, Kultur und Aufklärung als „Neuankömmlingen in der deutschen Sprache“, wobei diese Neuankömmlinge die Hoffnungen auf eine Verbesserung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zum Ausdruck brachten. Je positiver allerdings ein Begriff besetzt ist, umso größer ist – gerade in der öffentlichen und politischen Kommunikation – die Neigung, ihn für eigene Ziele und Zwecke zu nutzen und entsprechend umzudeuten. Dies führt zwangsläufig dazu, dass eine einvernehmliche Definition kaum noch möglich ist und sehr verschiedene, auch einander widersprechende Deutungen nebeneinander existieren.

Neben dieser humanistischen Deutung gibt es auch eine Begriffsverwendung, die unter „Kultur“ nicht bloß die positiv zu bewertenden humanen Aktivitäten des Menschen erfassen, sondern auch sein Zerstörungspotenzial. Allerdings ist diese Sichtweise in der Kulturpolitik kaum verbreitet.

Auch der Begriff der Integration erfreut sich – zumindest im politischen Diskurs – einer großen Beliebtheit. Man assoziiert mit diesem Begriff das Gemeinsame, die Einbeziehung aller Menschen in ein Ganzes. Der Begriff ist aufs Engste verwandt mit dem Begriff der Teilhabe und neuerdings mit dem Begriff der Inklusion. Beide Begriffe werden als politische Zielvorstellungen durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, durch zahlreiche Konventionen sowie durch nationalstaatliche Gesetze garantiert. Diese positive Sichtweise wird verstärkt, wenn man sich die Gegenbegriffe anschaut: Exklusion, Ausgrenzung, Ausschluss, Abschottung, Diskriminierung.

Vor diesem Hintergrund wundert man sich nicht über die vielfältige Nutzung im politischen Bereich, man kann sich allerdings darüber wundern, dass man oft in dem Bereich, in dem man es mit Migration und Zuwanderung zu tun hat, auf eine deutliche Ablehnung dieses Begriffes stößt. Woran liegt das?

Ein erster Antwortversuch besteht da­rin, dass man zwar über Integration spricht, aber letztlich Assimilation meint: Diejenigen, die bislang außen vor sind, sollen zwar aufgenommen werden in die Gemeinschaft, allerdings sind die Hürden für diese Aufnahme ausgesprochen hochgelegt. Es geht dabei nicht bloß um die Aneignung der deutschen Sprache und die Akzeptanz der Rechtsordnung, sondern es geht um ein starkes Bekenntnis zu einer deutschen Leitkultur, was immer man darunter versteht. Ein weiterer Grund für eine skeptische Haltung gegenüber diesem Begriff kann darin gesehen werden, dass die Notwendigkeit übersehen wird, unterschied-liche Formen von Integration und Teilhabe gleichermaßen zu berücksichtigen. Neben der kulturellen Teilhabe gibt es nämlich eine soziale, politische und ökonomische Teilhabe, was ganz konkret bedeutet, dass man den Aufnahmekandidaten eine Chance am Arbeitsmarkt und eine Chance zur politischen Mitwirkung geben muss. Zudem sollte man die Beträge im Kontext von Hartz IV und der Grundsicherung für kulturelle Aktivitäten betrachten, die kaum eine auch nur minimale Teilnahme am kulturellen Leben gestatten. Auch der Aspekt der Bildungsgerechtigkeit – gerade gegenüber Kindern und Jugendlichen aus Zuwanderungsfamilien – spielt eine entscheidende Rolle, wobei das deutsche Bildungssystem, wie die PISA-Studien regelmäßig zeigen, einen hohen Grad an Selektivität zeigt. Dies bedeutet, dass auch kulturelle Integration nicht allein von der Kulturpolitik bewältigt werden kann, sondern dass weitere Politikfelder wie Wirtschafts-, Sozial-, Innen- und Bildungspolitik – und dies auf allen drei Ebenen des Staates – einbezogen werden müssen. Tut man dies nicht, dann könnte der Verdacht entstehen, dass die Rede über kulturelle Integration und Teilhabe die anderen genannten Teilhabeformen an den Rand drängen will: Kulturpolitik wäre dann eine Art Ersatz für eine Politik, die es ernst meint.

Nun spricht die Kulturpolitik zwar über Kultur, hat es aber im Wesentlichen mit der Produktion und Rezeption von Künsten zu tun. Auch in diesem Feld ist Skepsis angebracht, da man spätestens seit den Studien von Bourdieu weiß, dass Kunst und Kultur sehr starke Mittel der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung und auch Abgrenzung unterschiedlicher Gruppen sind. Sie wirken zwar integrierend, aber dies lediglich in abgegrenzten Lebensstilgruppen.

All diese Hinweise sollen nun nicht dazu führen, das Ziel einer kulturellen Integration abzulehnen. Es weist nur auf einige Stolpersteine hin: Man sollte sich kritisch fragen, wie viel an Gemeinschaftlichkeit überhaupt notwendig ist, damit eine moderne Gesellschaft funktioniert. Anders als in traditionellen Gesellschaften geschieht Integration nicht über eine starke und emotional verankerte und verbindliche universelle Werteordnung (wie etwa ein geteilter Glaube), sondern über Prozesse der Partizipation. Moderne Gesellschaften halten es nicht nur aus, dass es eine Pluralität von Lebensformen und -orientierungen gibt: Dies ist sogar ein wesentliches Kennzeichen. Man erinnere sich, dass ein zivilisierter Umgang mit Fremden die Basis für den Erfolg der Städte als internationale Handelszentren und damit für ihre ökonomische, politische und kulturelle Entwicklung war: Weltoffenheit, Toleranz, Neugierde, ökonomische Prosperität gingen in der Geschichte immer schon Hand in Hand. Ein Blick auf die großen Städte könnte auch die Ängste vor Parallelgesellschaften nehmen. Denn alle Großstädte hatten immer schon Viertel, in denen sich bestimmte ethnische Gruppen konzentrierten. Straßennamen erinnern noch an das frühere Griechen-, Juden-, italienische etc. Viertel, was einer „Integration“ gerade keinen Abbruch getan hat.

Man sollte zudem die segmentierende Wirkung von Kunst und Kultur nicht aus den Augen verlieren. Man sollte überlegen, dass kulturelle Integration nicht funktionieren kann, wenn man ökonomische, soziale und politische Integration nicht mit bedenkt, damit die eigenen kulturellen Anstrengungen nicht zu einer bloßen Symbolpolitik verkommen. Man sollte sich zudem bewusst sein, dass der Reichtum der Kulturen, die kulturell integriert werden sollen, zwangsläufig dazu führt, dass sich das, was man unter der eigenen Kultur versteht, verändern wird: Das Wir nach einer erfolgten Integration ist ein anderes als das vorherige Wir. Dies bedeutet insbesondere, dass Integration keine Einbahnstraße ist: Es müssen sich nicht bloß die Aufnahmekandidaten an ein anderes Regelsystem gewöhnen, auch die bisherigen Mitglieder der Gemeinschaft werden hinnehmen müssen, dass die Neuankömmlinge eigene Vorstellungen einbringen wollen. Nicht zuletzt muss man vor dem Hintergrund der oben angesprochenen, zum Teil widersprüchlichen Füllung des Begriffs der kulturellen Integration für eine eigene klare Begriffs- und Zielbestimmung sorgen. Dies bedeutet aber auch, dass jeder der beteiligten Akteure bei sich selbst mit einer kritischen „Evaluation“ beginnen muss, inwieweit im eigenen Bereich dieses Ziel realisiert wird.
Übrigens: Integration ist dabei nicht nur eine Aufgabe, die man im Kontext von Zuwanderung diskutieren sollte. Es gibt zum einen viele „Biodeutsche“, deren Beteiligung an den unterschiedlichen Gesellschaftsfeldern durchaus verbesserungsbedürftig ist. Auch sollte man bedenken, dass Reiche, die in Deutschland die immer noch guten Infrastrukturen nutzen und auch hier ihr Geld verdienen, sich gerne in durch private Sicherheitskräfte abgeschirmte Viertel zurückziehen und häufig ihre Vermögen und Einkommen in Steueroasen deponieren. Sollte dies nicht unter dem Aspekt der „Integration“ mit bedacht werden?

Kulturelle Integration kann unter dieser Perspektive bedeuten: Anerkennung und Respekt vor kulturellen Ausdrucksformen, die einem selbst zunächst fremd sind. Dies setzt Neugierde und Offenheit voraus, was nicht bedeutet, dass einem alles gefallen muss. Kulturelle Integration bedeutet, dass man bewusst Möglichkeiten der Teilnahme und Teilhabe schaffen muss. Bei der Teilnahme geht es um die Öffnung der Angebote, wobei finanzielle Aspekte und Fragen der Erreichbarkeit eine Rolle spielen. Teilhabe geht allerdings über die bloße Teilnahme an fertigen und bewährten Produkten hinaus: Es müssen Gelegenheiten geschaffen werden, eigene Produktionen – und dies im normalen Programm und nicht in Sonderprojekten – zu entwickeln. Kulturelle Integration ist jedoch nicht nur eine Aufgabe für die einzelne Kultureinrichtung: Auf politischer Ebene geht es darum, die Notwendigkeit einer Einbeziehung der oben genannten anderen Integrationsformen (in Politik und Ökonomie) aufzuzeigen. Letztlich ist kulturelle Integration nur ein Aspekt von Integration insgesamt und Kulturpolitik ein Feld, das nur im Kontext anderer Politikfelder wirksam werden kann.

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