Wolf Iro 18. Januar 2017 Logo_Initiative_print.png

Was­ser­spa­rende Jecken

Eine regelmäßige Besucherin der Bibliothek des Goethe-Instituts, eine Dame, die ursprünglich aus Aachen stammt und seit 1938 in Tel Aviv ist, erscheint immer in Begleitung ihrer philippinischen Pflegekraft, um sich mit Lektüre auf Deutsch zu versorgen. Vor Kurzem jedoch, wie der Bibliothekar mir erzählte, kam die Pflegerin alleine. Sie gab die ausgeliehenen Bücher und den Mitgliedsausweis zurück. Die alte Dame war im Alter von 100 Jahren gestorben. Ich kannte die Dame nicht, und doch berührte mich der Bericht sehr. Denn er erinnert an das langsame Verschwinden einer Generation, die es, ob noch rechtzeitig vor Ausbruch des Krieges und der systematischen Vernichtung der Juden oder aber als Überlebende der Schoah, nach Israel schaffte.

Nach der Staatsgründung 1948 ergab sich in punkto deutschstämmige Juden in Israel – auch Jecken genannt – ein widersprüchliches Bild. Einerseits übten sie einen nicht unbedeutenden Einfluss auf Staat, Kultur und Gesellschaft aus. Politiker wie Josef Burg, Philosophen Samuel Hugo Bergmann, Martin Buber und Felix Wetsch, Künstler wie der aus Dresden stammende Yigal Tumarkin oder Schriftsteller wie Max Brod stehen stellvertretend für viele deutschstämmige Israelis im jungen Staat. Unterdessen muss man feststellen: Die deutsch-jüdische Symbiose und Befruchtung, wie sie in Deutschland vor 1933 existierte, ließ sich nicht unbeschadet in die neue Kultur übertragen. Viele der deutschen Einwanderer beherrschten die hebräische Sprache nur ungenügend und standen zudem unter ideologischem Verdacht: „Kommst du aus Zionismus oder kommst du aus Deutschland?“ (higata me zionut o me Germania?), lautete eine häufig gestellte Frage. Hinzu kam noch, dass Deutsch in Israel als Sprache der Täter verständlicherweise verpönt und verhasst war. Viele Kinder der Einwanderer aus Deutschland lernten deshalb zu Hause nicht die Sprache ihrer Eltern. Wohl sprachen diese es untereinander, aber mit den Kindern unterhielt man sich auf Hebräisch. Das hat sich mittlerweile deutlich geändert. Eben jene Kinder und Enkel sind es unter anderem, die am Goethe-Institut Deutsch lernen. Sie tun dies auch, weil sie sich „ihre Vergangenheit zurückholen“ wollen. Die Nazis sollen nicht das letzte Wort gehabt haben.

Das heißt natürlich nicht, dass das deutsch-jüdische Leben, wie es insbesondere in den 1950er bis 1970er Jahren das Land prägte, wieder zurückkehrte. Dies ist unwiderruflich Geschichte. Vielerlei Beispiele lassen sich hierfür anführen. Auf den Punkt bringt es die große holländische Schriftstellerin Judith Herzberg, die Anfang der 1990er Jahre einige Zeit in der Bibliothek des Goethe-Instituts verbrachte und später das folgende Gedicht verfasste:

Die im Gedicht erwähnte und unter Jecken tatsächlich sehr beliebte deutschsprachige Zeitung Israel Nachrichten wurde vor fünf Jahren eingestellt – die Chefredakteurin und einzige feste Mitarbeiterin war gestorben. Auch der Jerusalemer Lyris-Kreis, eine Gruppe auf Deutsch schreibender Dichter in Israel, verlor im Sommer 2014 seinen letzten wichtigen Vertreter, den aus der Bukowina stammenden Manfred Winkler. Antiquariate sind nicht mehr an deutschen Raritäten interessiert – das Angebot aus den aufgelösten Nachlässen ist riesig und die Nachfrage äußerst gering. Und die eigenen Veranstaltungen führt das Goethe-Institut schon seit Langem immer mit hebräischer Übersetzung durch.

Andere Immigrationswellen haben neue Subkulturen geschaffen, die das Einwanderungsland Israel prägten und weiter prägen. So wanderten in den 1990er Jahren zwischen einer und anderthalb Millionen russische Juden ein. Schilder in Geschäften in russischer Sprache sind inzwischen keine Seltenheit mehr. In den letzten Jahren wiederum hat als Reaktion auf die terroristischen Anschläge die Immigration aus Frankreich stark zugenommen. Es gibt natürlich auch eine Einwanderung aus Deutschland, deutsche Juden, die bewusst Aliya machen, oder Menschen in deutsch-israelischen Ehen. Für einen größeren Teil derjenigen deutschen Juden, die in der Zionistischen Jugend Deutschlands waren, gehört Israel fraglos zu den Referenzpunkten ihres Lebens. Einige leben permanent in Israel, andere pendeln zwischen beiden Ländern oder sind zumindest häufig zu Gast. Von einem deutsch-jüdischen Leben im Sinne eines gesellschaftlich wahrnehmbaren Phänomens zu sprechen, wäre aber sicherlich zu viel.

Es ist nur auf der Oberfläche ein Paradox: In den 1950er bis 1970er Jahren, der Hochzeit des deutsch-jüdischen Lebens in Israel, waren die institutionellen Verbindungen zwischen Deutschland und Israel noch denkbar gering. Heute hingegen gibt es eine Vielzahl von Städtepartnerschaften, wissenschaftlichen und kulturellen Kooperationen, Austäuschen und politisch-strategischen Allianzen, während das deutsch-jüdische Leben selbst in Israel keine prägende Rolle mehr spielt. Geblieben ist unterdessen der Typus des Jecken. Ein gewissenhafter, durchaus auch penibler Mensch wird häufig als jeckisch bezeichnet. Vor Kurzem gab mir ein israelischer Freund zum Geburtstag ein besonderes Geschenk. Es war ein kleines, ungefähr 15 mal 10 Zentimeter großes Hinweisschild, das er Ende der 1980er Jahre auf einer Baustelle in Tel Aviv gefunden hatte. Dort hatte sich ein Hotel befunden, das von Juden aus Deutschland nach dem Krieg aufgebaut und seit jener Zeit betrieben worden war. Nachdem sie es altersbedingt aufgeben mussten, wurde das Hotel abgerissen. Das Schild war zweisprachig, hebräisch und deutsch. Auf ihm stand: „Bitte Wasser sparen und den Hahn gut schließen.“

Der Text ist zuerst erschienen in Kippa, Koscher, Klezmer? – Dossier „Judentum und Kultur“.

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